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02.08.2018

Wie kann klischeefreie Berufs- und Studienwahl gelingen?

Schirmherrin Elke Büdenbender diskutierte mit Bundesjugendministerin Franziska Giffey, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium Cornelia Quennet-Thielen, Soziologin und Sozialpsychologin Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger (Ph.D.) sowie mit Jasmin Springer, angehende Elektrikerin Geräte und Systeme, Alexander Tyzaj, Zahnmedizinischer Fachangestellter, und dem Grundschullehramtsstudenten Kaan Kutbay. Bei der Eröffnungsdiskussion wurde deutlich, dass bei dem komplexen Thema auf verschiedenen Ebenen Handlungsbedarf besteht.

Gesprächsrunde

Berufsorientierung schon ab der frühkindlichen Bildung

Ab wann sollte Berufsorientierung beginnen? Schon in der Frühen Bildung ist es wichtig, Kindern die Möglichkeit zu bieten, Vielfalt kennenzulernen. Kinder sollten erfahren dürfen, dass Tätigkeiten kein Geschlecht haben, und herausfinden, was sie interessiert, was ihnen Freude macht und worin sie sich weiterentwickeln möchten. In der frühen Kindheit werden so bereits Grundsteine für eine spätere Berufsorientierung gelegt, die den Kindern ein breites Spektrum zur persönlichen Entfaltung bieten soll.

Die Berufswahl stellt einen wesentlichen Aspekt persönlicher Entfaltung dar. Doch viele Jugendliche haben keine Vorstellung von der Vielfalt beruflicher Möglichkeiten. Sie richten ihre Berufswahl häufig nach überkommenen Mustern und schränken ihr Wahlspektrum damit stark ein. Jugendliche, so führte die Staatssekretärin des BMBF, Cornelia Quennet-Thielen aus, konzentrierten sich nach wie vor an nur wenigen Berufen: Fast drei Viertel der jungen Frauen und über die Hälfte der jungen Männer wählten aus lediglich 20 dualen Ausbildungsberufen, obwohl ihnen im dualen System fast 330 Ausbildungsberufe zur Verfügung stünden. Erschwerend komme hinzu, so die Staatssekretärin, dass auch oft die Vorstellungen, was einen bestimmten Beruf ausmacht und welche Tätigkeiten er konkret umfasst, der beruflichen Wirklichkeit nicht entsprächen. Daher brauche es noch mehr solcher Berufsorientierungsmaßnahmen wie „Das Haus der Kleinen Forscher“, den Girls-/Boys’Day und das Berufsorientierungsprogramm, die den Kindern Lust machen, sich auszuprobieren und zu experimentieren.

„Ich weiß, was ich kann und was ich machen möchte.“

Doch wie können Neugier geweckt und Klischees aufgebrochen werden? Bei Jasmin Springer, der angehenden Elektronikerin für Geräte und Systeme, war es der Girls’Day, der ihr den Impuls gegeben hat, die Ausbildung zur Elektronikerin zu absolvieren. Vorbehalte wie „Mädchen können nicht bohren, wir nehmen mal lieber den Jungen.“ begegnet sie mit einer klaren Haltung: „Ich weiß, was ich kann und was ich machen möchte.“ Ihre Botschaft an junge Frauen: Sich nicht von Klischees und Vorurteilen abschrecken lassen.

Ähnlich argumentiert Kaan Kutbay, der einer der wenigen Männer ist, die sich für das Grundschullehramt begeistern. Obwohl das Grundschullehramt nur ein geringes Prestige genießt, als nicht anspruchsvoll gilt und daher, so Kutbay, „immer etwas belächelt wird“, hat auch er seinen Berufswunsch weiterverfolgt. Seine Botschaft an junge Männer: „Wenn Ihr das machen wollt, dann macht es! Der Beruf Grundschullehrer ist ein anspruchsvoller Beruf und wenn man das wirklich machen will und Spaß daran hat, sollte man sich nicht abschrecken lassen.“

Auch Alexander Tyzaj hat am Boys’Day teilgenommen und sich für einen Beruf entschieden, in dem überwiegend Frauen arbeiten. Er ist Zahnmedizinischer Fachangestellter. Dass er ziemlich allein unter Frauen ist, nimmt der junge Mann mit Humor: „Ich bin so eine Art Kollegin für die Auszubildenden.“

Gleiche Aufstiegschancen für Frauen und Männer

Ziel ist jedoch nicht nur, mehr Frauen und Männer auf Berufe aufmerksam zu machen, in denen die eigene Geschlechtergruppe unterrepräsentiert ist, um vielfältigere Teams zu schaffen. Frauen sollten auch die gleichen Aufstiegschancen bekommen – sowohl in (noch) frauendominierten als auch in (noch) männerdominierten Berufsfeldern. Männer können auch in Berufen mit einem hohen Frauenanteil vergleichsweise schnell die Karriereleiter hochklettern. Denn aufgrund bestehender männlicher Seilschaften werden Aufstiegsposten häufig an Männer herangetragen. Frauen erlebten eher den „Drehtür-Effekt“, wie die Soziologin und Sozialpsychologin Jutta Allmendinger erklärte. Frauen würden nach einer gewissen Zeit wieder „herausgedreht“. Diskutiert wurde auch die oft angeführte Behauptung, Frauen wollten gar nicht führen. Doch Untersuchungen zeigten, so Allmendinger, dass Frauen im Alter von 14 bis 17 Jahren genauso häufig Führungspositionen anstreben wie Männer. Im Laufe ihrer Erwerbstätigkeit würde ihnen dieser Wunsch jedoch wieder „aberzogen“. Es seien gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen (wie z.B. befristete Verträge, Ausschreibungsregelungen, Familienpolitik, Ehegattensplitting, Teilzeitschleifen, der sogenannte „Mummy Track“), die dazu beitrügen, dass Frauen einfach nicht weiterkommen. Zudem seien die Karrierewege in der Regel auf männliche Lebensläufe ausgerichtet.

Unterstützung durch Förderung

Mit Blick auf die skandinavischen Länder ermutigt Schirmherrin Büdenbender Führungskräfte dazu, auch Frauen zu fördern und neue Netzwerke zu gründen. Sie sieht es als Aufgabe „der Politik“, die Wirtschaft durch entsprechende Vorgaben dazu zu bewegen „sich ihre Kronprinzessinnen zu suchen“. Dabei betont sie auch, wie wichtig weibliche Vorbilder in (noch) männerdominierten Berufen für Mädchen und junge Frauen sind. Sie appelliert direkt an die Frauen. „Traut euch das zu!“ und bestärkt sowohl Männer wie Frauen, „das zu tun, was tief in ihnen drin liegt und was sie wirklich antreibt – auch abseits von dem, was von ihnen erwartet wird.“ Hierfür benötigten sie die entsprechende Unterstützung. So könne in Bereichen, in denen Männer noch unterrepräsentiert sind, zum Beispiel auch über die Notwendigkeit einer besonderen Förderung für Männer nachgedacht werden.

„Frauen können alles“

Auch Bundesfrauenministerin Giffey will mehr Frauen in den Chefetagen, denn „Frauen können alles!“ Doch Männern wird in unserer Gesellschaft generell mehr Kompetenz unterstellt. Hinzu komme, dass sich Männer sozialisationsbedingt mehr zutrauen als Frauen. Oft stellten Frauen ihr Licht unter den Scheffel und stehen sich damit selbst im Weg. Alle, die an Erziehung beteiligt sind, sollten hier aktiv werden, um auch Mädchen/Frauen zu stärken. Dazu gehörten auch Vorbilder – sowohl für Frauen als auch für Männer.

Soziale Berufe brauchen mehr als soziale Anerkennung

Vor dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels in den sozialen Berufen wurde die dringende Anforderung an die Politik diskutiert, soziale Berufe aufzuwerten, und dies nicht nur durch soziale Anerkennung. Giffey setzte den Fokus auf die Bezahlung als entscheidenden Schlüssel, um die Attraktivität sozialer Berufe – auch für Männer - zu erhöhen: „Was ist das empfindlichste Körperteil? Das Portemonnaie!" Giffey sieht für den Gender Pay Gap keinerlei Rechtfertigungen. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil kritisierte die bestehenden Gehaltsgefälle und nannte ergänzend verbindliche Tarife sowie eine Ausbildungsvergütung für die schulischen Ausbildungen als Maßnahmen.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Die Diskussion um ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter betraf nicht nur den Arbeitsplatz. Die Einführung der Elternzeit wurde als ein großer Schritt gesehen, auch wenn die Mehrheit der Männer bisher nur zwei Monate in Anspruch nimmt. Elternzeit für Männer sollte in Unternehmen selbstverständliche Realität werden, denn auch Männer sollen sich kümmern dürfen. Als eine weitere Maßnahme führte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil den Gesetzentwurf zur Brückenteilzeit auf, eine Weiterentwicklung des Teilzeitrechts, die Männern und Frauen die Möglichkeit geben soll, auch ohne spezifischen Grund ihre Arbeitszeitverläufe flexibler zu gestalten, ohne in der „Teilzeitfalle“ stecken zu bleiben. Denn, so Heil: „Arbeit muss zum Leben passen, nicht umgekehrt.“

Beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie sieht Arbeitsminister Heil zudem eine Chance im digitalen Wandel. Die Digitalisierung werde zu einem riesigen Umbruch in der Arbeitswelt führen. Die Menschen benötigen hierfür die nötige Qualifizierung, um ihre Beschäftigungsfähigkeit zu sichern. Dies zusammen gedacht mit der Idee flexibler Arbeitszeitverläufe könne, so Heil, einen Riesenbeitrag für die Gleichstellung von Männern und Frauen leisten, „wenn wir die Weichen richtig stellen und Männer wie Frauen gleichermaßen mit dem Rüstzeug dafür ausstatten.“

„Im Wandel nicht jammern, sondern machen!“

Bundesministerin Giffey ermutigte dazu, sich von den Veränderungen nicht abschrecken zu lassen, sondern sie als Chance zu begreifen und das Beste daraus zu machen. Wichtig sei es, bei der Entwicklung neuer Berufe immer das Vereinbarkeitsthema klar mitzudenken. Dazu gehöre auch, die dazu notwendigen Fachkräfte für die Kinderbetreuung und Pflege auch im Rahmen von Umschulungen auszubilden. „Wenn an bestimmten Punkten Jobs wegfallen“, so Giffey, „dann müssen wir gucken, wie wir auch Menschen in der fortgeschrittenen Phase ihres Lebens unterstützen können, die sich beruflich neu orientieren möchten.“

„Die Rahmenbedingungen der Arbeitswelt zu ändern, das ist da A und O – dann ändert sich auch in den Köpfen was.“ Mit diesen Worten schloss Schirmherrin Büdenbender die anregende Diskussion, die zeigte, dass es nicht ausreicht, nur an die jungen Menschen zu appellieren. Gesellschaft, Wirtschaft und Politik sind gleichermaßen gefordert, die entsprechenden Voraussetzungen für eine klischeefreie Berufswahl zu schaffen.