16.09.2024
ELMI Policy Roundtable: Kriterien für die Berufswahl
Welche Rolle spielen Arbeitsmarktaussichten für die Berufs- und Studienwahl von Jugendlichen? Haben Berufsberatungsangebote einen Einfluss auf ihre berufliche Orientierung? Und können weibliche Rollenvorbilder dazu beitragen, geschlechtsspezifische Vorurteile abzubauen und mehr Mädchen für MINT-Fächer zu begeistern? Antworten auf diese und weitere Fragen gaben drei Referenten beim vierten ELMI Policy Roundtable.
Das im Oktober 2022 gegründete Netzwerk ELMI ist ein Zusammenschluss von elf europäischen Forschungsinstituten, die sich mit Themen der Berufs- und Arbeitsmarktforschung befassen. Gemeinsam verfolgen sie das Ziel, multidisziplinäre Forschungskooperationen zu vertiefen, den Austausch bewährter Verfahren im Bereich Datenmanagement und Datenzugang zu fördern und den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu stärken.
Mit dem „ELMI Policy Roundtable“ hat das Netzwerk ein Veranstaltungsformat geschaffen, in dem Forschende ihre Forschungsergebnisse in regelmäßigen Abständen einem Publikum aus Wissenschaft, Politik und Praxis präsentieren können. In seiner vierten Auflage widmete sich der ELMI Policy Roundtable den Kriterien für die Berufs- und Studienwahl von Schülerinnen und Schülern. Ausrichter der virtuellen Veranstaltung war das Research Centre for Education and the Labour Market (ROA) der Universität Maastricht.
Fourage: Die erwarteten Beschäftigungs- und Einkommensperspektiven spielen eine wichtige Rolle bei der Berufs- und Studienwahl
Nach der Begrüßung durch Annemarie Künn-Nelen, PhD, Associate Professor am ROA und Gastgeberin der Veranstaltung, erfolgte der inhaltliche Einstieg durch Prof. Didier Fourage. Der Ökonom präsentierte in seinem Vortrag „Berufsberatung und Studienwahl in der beruflichen Bildung: Spielen die Arbeitsmarktaussichten von Bildungsprogrammen eine Rolle?“ seine Forschungsergebnisse zu den zentralen Entscheidungskriterien für die Berufswahl von Schülerinnen und Schülern.
Die Ergebnisse seiner Studie zeigen ein eindeutiges Bild: Gehalts- und Arbeitsmarktaussichten von Berufen spielen eine entscheidende Rolle für die berufliche Orientierung junger Erwachsener. Je günstiger diese Aspekte eingestuft werden, desto eher ziehen Schülerinnen und Schüler diesen Beruf in Betracht.
Allerdings scheinen junge Erwachsenen die Gehalts- und Arbeitsmarktaussichten von Berufen häufig zu überschätzen – und zwar insbesondere dann, wenn sie das jeweilige Berufsbild ohnehin als besonders attraktiv erachten. Folglich dürften einige Schülerinnen und Schüler möglicherweise einen Ausbildungsweg einschlagen, der ihren Erwartungen langfristig nicht oder nur teilweise gerecht wird. Berufsberatungsangebote, die entsprechende Informationen bereitstellen, können, so ein weiteres Ergebnis der Studie, dazu beitragen, falsche Erwartungen von Jugendlichen zu korrigieren – und ihnen somit zu einer für sie geeigneteren Berufswahl verhelfen.
Sandner: Studien- und Berufsberatungsangebote zeigen Optionen jenseits des Studiums auf
Daran anknüpfend beleuchtete der IAB-Forscher und Ökonom Prof. Malte Sandner in seinem Vortrag „Berufsorientierung in Deutschland: eine Studie zur Berufs- und Studienwahl“ den Einfluss von Beratungsangeboten auf die Studien- und Berufsentscheidung von Gymnasiastinnen und Gymnasiasten genauer. Im Fokus seiner aktuellen Forschung steht die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit (BA) an deutschen Gymnasien, die 2019 um das Angebot von Einzelcoachings erweitert wurde.
Sanders Analysen zufolge führt eine Intensivierung des Beratungsangebots dazu, dass mehr Jugendliche dieses auch nutzen. Vor allem aber können Beratungsangebote sich tatsächlich auf die berufliche Orientierung von Schülerinnen und Schülern auswirken: Diejenigen, die das Einzelcoaching der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Anspruch genommen haben, entschieden sich häufiger dafür, nach ihrem Schulabschluss ein Gap-Year, also eine Auszeit, einzulegen und nahmen – zumindest direkt im Anschluss an ihre Schulzeit – seltener ein Studium auf. Zugleich geben sie in ihrem gewählten Ausbildungsweg in der Regel eine geringere Arbeitsbelastung an, sind insgesamt zufriedener mit ihrer Studien- und Berufswahl und brechen ihr Studium oder ihre Ausbildung seltener ab. Folglich scheint die Studien- und Berufsberatung der BA den Schülerinnen und Schülern nicht nur aufzuzeigen, dass es neben dem Studium noch weitere Optionen gibt, sondern unterstützt sie auch darin, nach dem Abitur einen Weg einzuschlagen, der besser zu ihren individuellen Bedürfnissen und Wünschen passt.
Jedoch, so Sandner, könnten diese Ergebnisse ebenso darauf hinweisen, dass die Studien- und Berufsentscheidung vieler Jugendlicher durch die Beratung der BA lediglich verschoben wird – nämlich um den Zeitraum ihres Gap-Years. Diese Erkenntnis liefert einen Ansatzpunkt für die weitere Ausgestaltung des aktuellen Beratungsangebots.
Breda: Weibliche Rollenvorbilder können geschlechtsspezifische Vorbehalte gegenüber Frauen in MINT-Berufen reduzieren – aber auch verstärken
Auch Thomas Breda, PhD, Ökonom an der Paris School of Economics (PSE), befasste sich in seinem Vortrag mit der Studien- und Berufswahl junger Erwachsener, widmete sich dabei jedoch insbesondere den weiterhin vorherrschenden Geschlechterstereotypen in MINT-Berufen: Können weibliche Rollenvorbilder dazu beitragen, Vorbehalte gegenüber Frauen im MINT-Bereich abzubauen und dadurch mehr Schülerinnen ermutigen, eine Karriere in diesem Berufsfeld zu beginnen?
Hierfür evaluierte Breda das Programm „For Girls in Science“, das 2014 von der L’Oréal-Stiftung zu eben diesem Zweck ins Leben gerufen wurde. Im Rahmen dieses Programms besuchten 56 im MINT-Bereich tätige Frauen Schulklassen an französischen Gymnasien, um dort von ihrem Berufsalltag und ihrem persönlichen Karriereweg zu berichten. Die Referentinnen waren zur einen Hälfte Doktorandinnen und Postdoktorandinnen an Universitäten und Forschungseinrichtungen, zur anderen Hälfte Wissenschaftlerinnen bei L’Oréal.
Tatsächlich, so Bredas Fazit, trugen deren Erfahrungsberichte dazu bei, Vorbehalte gegenüber einer Erwerbstätigkeit von Frauen in MINT-Berufen sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen zu reduzieren. Zudem entschieden sich insbesondere leistungsstarke Schülerinnen aus den besuchten Schulklassen nach ihrem Schulabschluss häufiger für ein MINT-Studium.
Allerdings war Breda zufolge teilweise auch der gegenteilige Effekt zu beobachten: Wenn die Wissenschaftlerinnen bei ihrem Besuch zu stark auf den geringen Anteil von Frauen im MINT-Bereich und die weiterhin bestehenden Vorurteile eingingen, ohne gleichzeitig ein positive, ermutigende Botschaft zu vermitteln, verstärkte das Programm ungewollt die geschlechtsspezifischen Vorbehalte – und verfehlte somit sein Ziel. Ob Wissenschaftlerinnen also in positiver Weise als weibliche Rollenvorbilder fungieren können, ist also auch eine Frage der Kommunikation.
Quelle: Högner, Magdalena (2024): ELMI Policy Roundtable: It’s all about the money? Kriterien für die Berufs- und Studienwahl von Schülerinnen und Schülern, In: IAB-Forum 5. September 2024, Abrufdatum: 16. September 2024