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19.06.2024

„Die Grenzen typischer Geschlechterdomänen weichen langsam auf“

Mit dem sogenannten Datenreport veröffentlicht das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) ein Standardwerk zum jährlichen Berufsbildungsbericht. Was die neuesten Daten über die Geschlechteraufteilung auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt aussagen, haben wir Co-Autor Stephan Kroll (BIBB) gefragt.

„Die Grenzen typischer Geschlechterdomänen weichen langsam auf“
Stephan Kroll, Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)

„Analysen haben gezeigt, dass die Grenzen typischer Geschlechterdomänen in den letzten Jahren im dualen System der Berufsausbildung langsam, aber stetig aufweichen. So ist beispielsweise der Frauenanteil in den Produktionsberufen in den vergangenen Jahren gestiegen. Gleiches gilt für den Männeranteil im Dienstleistungsbereich.“

Stephan Kroll (BIBB, AB 1.1, Berufsbildungsangebot und -nachfrage / Bildungsbeteiligung)

Der Ausbildungsmarkt in Deutschland ist nach wie vor stark nach Geschlecht segregiert. Wird diese Aufteilung auch von den Daten aus dem Berufsbildungsbericht 2024 bestätigt?

Zunächst ist einmal festzuhalten, dass wir in den letzten Jahrzehnten den wenig erfreulichen Trend beobachten, dass anteilig immer weniger junge Frauen den Weg ins duale System der Berufsausbildung finden. So ist der Frauenanteil bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen alleine seit Anfang der 2000er-Jahre um mehr als 6 Prozentpunkte gesunken. Im Jahr 2023 lag er nur noch bei rund 36 Prozent. Und ja, die Daten zeigen deutlich unterschiedliche berufliche Schwerpunkte von Männern und Frauen. So wurde zum Beispiel nur knapp jeder zehnte neue Ausbildungsvertrag 2022 im Bereich der Produktionsberufe mit einer Frau geschlossen, im Dienstleistungsbereich mehr als jeder zweite.

Oder schauen wir uns die unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche an. Beispielsweise liegt der Anteil an Frauen insbesondere in dualen Ausbildungsberufen des Handwerks und der Landwirtschaft noch einmal deutlich niedriger als insgesamt, wohingegen in den Freien Berufen neun von zehn neuen Ausbildungsverträgen mit Frauen geschlossen werden. Zu den Freien Berufen zählen vorwiegend Fachangestellte aus dem Pharmazeutisch-medizinischen Bereich und Rechtsanwalts-, Notar- und Steuerfachangestellte. Somit zeigen sich auch hier Geschlechterstereotype. Gleiches gilt für den überdurchschnittlich hohen Frauenanteil in dem vergleichsweise kleinen Zuständigkeitsbereich Hauswirtschaft.

Insgesamt ist der Anteil an Frauen in den letzten Jahrzehnten in allen Zuständigkeitsbereichen gesunken, auch recht deutlich im quantitativ größten Bereich Industrie und Handel. Eine Ausnahme bildet hier die Landwirtschaft, die dahingehend eine positive Entwicklung aufweist, allerdings – wie eben gesagt – von einem unterdurchschnittlichen Niveau aus.

Gibt es Berufe, die einen Trend zur Aufweichung der Segregation aufweisen, in denen also der Anteil des jeweils unterrepräsentierten Geschlechts kontinuierlich steigt?

Die gibt es. Sowohl auf Seiten der Frauen in männlich dominierten Berufen als auch der Männer in weiblich dominierten Berufen. Analysen haben gezeigt, dass die Grenzen typischer Geschlechterdomänen in den letzten Jahren im dualen System der Berufsausbildung langsam, aber stetig aufweichen. So ist beispielsweise der Frauenanteil in den Produktionsberufen – auch wenn er, wie eben gesagt, weiterhin auf niedrigem Niveau liegt – so doch in den vergangenen Jahren gestiegen. Gleiches gilt für den Männeranteil im Dienstleistungsbereich.

Allerdings hat sich auch gezeigt, dass der Anteil der Männer in weiblich dominierten Berufen in den letzten Jahren stärker gestiegen ist als umgekehrt. Aber es gibt auch Bereiche, in denen sich recht wenig getan hat. So hat sich der Frauenanteil in den dualen MINT-Ausbildungsberufen im letzten Jahrzehnt – trotz vielfältiger Bemühungen – kaum erhöht. Von 2012 bis 2022 lediglich von 11,0 auf 11,9 Prozent.

Um auf die Frage zurückzukommen, die ja konkret nach Berufen gefragt hat, so finden sich natürlich zahlreiche, in denen es über die Jahre zu einer Geschlechterannährung kam. Exemplarisch könnte man hier den Fahrzeuglackierer/-in, Landwirt/-in, Tischler/-in oder Berufskraftfahrer/-in nennen. Alles männlich dominierte Berufe, in denen der Frauenanteil über die Zeit recht deutlich gestiegen ist. Aber wie gesagt, die Liste ließe sich noch deutlich erweitern. Ebenso wie die Liste der weiblich dominierten Berufe, in denen in den vergangenen Jahren der Männeranteil deutlich gestiegen ist. Hier könnte man die Berufe „Friseur/-in“, „Fachverkäufer/-in im Lebensmittelhandwerk“ oder auch „Hotelfachmann/-frau“ exemplarisch nennen.

In der betrieblichen Ausbildung sind Männer überrepräsentiert, in der schulischen Ausbildung hingegen die Frauen. Tut sich hier was? Gehen Frauen mehr in die betriebliche – und Männer mehr in die schulische Ausbildung?

Wie zuvor bereits gesagt, war der Frauenanteil im dualen System der Berufsausbildung bis zum Jahr 2021 deutlich rückläufig. Dieser Trend ist im Berichtsjahr 2022 zunächst gestoppt. Wie die Entwicklung hier weitergeht, wird die Zukunft zeigen.

Der Trend der letzten Jahre lässt sich aber nicht einfach nur und ausschließlich mit einem gesunkenen Interesse der Frauen an einer Ausbildung im dualen System erklären. Unterschiedliche Faktoren spielten hier in den vergangenen Jahren eine Rolle. So sank die Zahl der einheimischen jungen Menschen infolge der im internationalen Vergleich weit unterdurchschnittlichen Geburtenrate in Deutschland aufseiten beider Geschlechter deutlich.

Auf Seiten der Männer konnte diese Entwicklung durch die starke Zuwanderung ab 2015 vorwiegend männlicher Migranten deutlich kompensiert werden. Dieser Kompensationseffekt trat bei den Frauen nicht bzw. nur bedingt auf. Das zuvor Gesagte muss also auch immer vor diesem Hintergrund gesehen und eingeordnet werden. Der zweite Faktor ist die gestiegene schulische Vorbildung, die gerade bei den jungen Frauen dazu führte, sich zunehmend von den dualen Ausbildungsangeboten abzuwenden und stattdessen verstärkt auf Ausbildungsangebote außerhalb des dualen Systems zuzugehen.

Auf Seiten der sogenannten schulischen Berufsausbildung im Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialwesen – dem quantitativ deutlich größten Bereich der schulischen Berufsausbildung – kam es in den letzten Jahren zu keiner nennenswerten Verschiebung der Geschlechterverteilung. Auch im Jahr 2022 waren diese Ausbildungen stark weiblich dominiert. Rund drei Viertel der Auszubildenden, die eine Ausbildung in diesem Bereich angefangen haben, waren weiblich.

„In der Gruppe der Auszubildenden mit einer Staatsangehörigkeit eines der zugangsstärksten Asylherkunftsländer gehören bei den männlichen Auszubildenden der Kraftfahrzeugmechatroniker und der Elektroniker zu den am stärksten besetzten Berufen, hinzu kommt hier noch der Friseur. Bei den weiblichen Auszubildenden sind es Zahnmedizinische Fachangestellte, Medizinische Fachangestellte und Friseurin.“

Stephan Kroll (BIBB, AB 1.1, Berufsbildungsangebot und -nachfrage / Bildungsbeteiligung)

Der Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2024 ist der erste, der ein Nach-Corona-Bild liefert. Zeigen sich auf dem Ausbildungsmarkt in Bezug auf das Merkmal „Geschlecht“ wesentliche Unterschiede zur Vor-Corona-Zeit?

Verschiebungen in den Geschlechteranteilen, die sich direkt und kausal auf die Corona-Pandemie zurückführen lassen, sind mir nicht bekannt. Aber natürlich haben die Maßnahmen, die mit der Corona-Pandemie einhergegangen waren, verschiedenen Branchen unterschiedlich hart getroffen.

Nehmen wir hier beispielhaft die Hotel- und Gastronomiebranche, die besonders von den Eindämmungsmaßnahmen betroffen war. Hier finden sich natürlich auch Berufe die überwiegend männlich bzw. weiblich besetzt sind und dementsprechend auch mal verstärkt Männer und mal Frauen betroffen waren. Man kann das vielleicht an zwei Beispielen veranschaulichen. Zum einen der Beruf „Koch/Köchin“ und zum anderen der Beruf „Hotelfachmann/-frau“. Der eine männlich dominiert, der andere weiblich dominiert und beide stark von den Auswirkungen der Pandemie betroffen.

Letztendlich hat sich meiner Ansicht nach eine unterschiedliche berufsspezifische „Geschlechterbetroffenheit“ über die Branchen und auch insgesamt über alle dualen Ausbildungsberufe wieder ausgeglichen. Eine nennenswerte Verschiebung der Geschlechteranteile aufgrund der Corona-Pandemie sehe ich nicht.

Gibt es aktuelle Daten darüber, wie junge Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, sich – erfasst nach Geschlecht – auf (Ausbildungs-)Berufe bzw. Berufsbereiche verteilen?

Auswertungen dazu sind auf Basis der Berufsbildungsstatistik der statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Erhebung zum 31.12.) möglich. Die Berufsbildungsstatistik erfasst die einzelnen Staatsangehörigkeiten der Auszubildenden, allerdings keinen Migrations- oder Fluchthintergrund. Als ausländische Auszubildende werden alle Auszubildende ohne deutschen Pass gezählt, egal wie lange sie schon in Deutschland leben. Wir haben die Auswertungen in der Rubrik „Zusatztabellen“ auf den Seiten vom Datensystem Auszubildende (DAZUBI) unter BIBB / Datensystem Auszubildende (DAZUBI) veröffentlicht.

Die drei Berufe mit den meisten Neuabschlüssen 2022 bei den männlichen ausländischen Auszubildenden waren Kraftfahrzeugmechatroniker, Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik und Elektroniker. Bei den ausländischen Frauen waren es die Zahnmedizinische Fachangestellte, die Medizinische Fachangestellte und die Kauffrau für Büromanagement. Bei der Zahnmedizinischen Fachangestellten machen ausländische Frauen sogar mehr als ein Drittel aller neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge aus.

Schaut man sich nicht die Berufe mit den meisten Neuabschlüssen von ausländischen Auszubildenden an, sondern die Berufe mit den höchsten Ausländeranteilen, so stehen die Berufe Fachmann/Fachfrau für Systemgastronomie, Fachkraft für Gastronomie, Fachmann/Fachfrau für Restaurants und Veranstaltungsgastronomie, Fachkraft Küche und Zahnmedizinische/-r Fachangestellt/-r ganz oben. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die genannten Berufe auch die beliebtesten von ausländischen Auszubildenden sind. Viele andere Faktoren spielen dabei eine Rolle, wie bspw. die aktuelle Lage am Ausbildungsmarkt und die damit verbundenen Einmündungschancen, die individuellen Befähigungen bzw. Begrenzungen, etc.

Betrachtet man die einzelnen Zuständigkeitsbereiche, dann sind ausländische Auszubildende überproportional häufig im Handwerk und in den Freien Berufen zu finden, deutlich seltener in der Landwirtschaft und im Öffentlichen Dienst.

Auch wenn im Rahmen der Berufsbildungsstatistik kein Migrationshintergrund erfasst wird, so kann doch die Gruppe der Auszubildenden mit einer Staatsangehörigkeit eines der zugangsstärksten (nicht europäischen) Asylherkunftsländer gebildet werden. Diese bildet zwar immer noch nicht Geflüchtete ab, die deutlich gestiegene Zahl an Auszubildenden in dieser Gruppe ab 2015 deutet aber darauf hin, dass hier auch viele Geflüchtete erfasst werden. In dieser Gruppe gehören bei den männlichen Auszubildenden – wie auch bei den männlichen ausländischen Auszubildenden insgesamt – der Kraftfahrzeugmechatroniker und der Elektroniker zu den am stärksten besetzten Berufen, hinzu kommt hier noch der Friseur. Bei den weiblichen Auszubildenden sind es Zahnmedizinische Fachangestellte, Medizinische Fachangestellte und Friseurin.

Wie attraktiv ist laut neuesten Daten die Ausbildung in Teilzeit – und wie nehmen Männer und Frauen diese Möglichkeit an?

Wenn man eine längere Zeitreihe betrachtet, dann ist der Anteil an Neuabschlüssen in Teilzeit zwar seit dem Berichtsjahr 2008 angestiegen, er verbleibt allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Für das Jahr 2022 wurden nur 0,5 Prozent der Neuabschlüsse im dualen System als Teilzeitberufsausbildung gemeldet.

Anders als im dualen System insgesamt, bilden Frauen die überwiegende Mehrheit der Auszubildenden in Teilzeit. So schlossen 2022 1,1 Prozent der Frauen einen Vertrag in Teilzeit ab. Bei den Männern waren dies nur 0,1 Prozent. Einen deutlichen Anstieg konnten auch die gesetzlichen Neuregelungen nicht bewirken. Und dies obwohl die stärkere Nutzung der Teilzeitoptionen auch dazu dienen könnten, weitere Potenziale zu nutzen und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

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