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04.03.2022

„Wir geben klischeefrei jedem die Chance, genau den Weg zu finden, der für ihn am besten ist“

Ulrich Wirth, Leiter des Schulzentrums des Universitätsklinikums des Saarlandes (UKS), und Schulsozialberaterin Christine Klein sprechen im Interview darüber, wie sich der Beitritt zur Initiative Klischeefrei in das Gesamtkonzept des UKS einfügt.

„Wir geben klischeefrei jedem die Chance, genau den Weg zu finden, der für ihn am besten ist“

Herr Wirth, können Sie das Schulzentrum des Universitätsklinikums des Saarlandes kurz vorstellen?

Das Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) ist einer der größten Ausbildungsbetriebe in der Region. Zwölf verschiedene anerkannte Ausbildungsstätten für medizinische Gesundheitsfachberufe sowie das Referat für Fort- und Weiterbildung sind hier angesiedelt – mit über 770 Ausbildungsplätzen sowie 142 Weiterbildungsplätzen.

Als Antwort auf die Disruptivität im Bildungssektor haben wir uns 2014 zu einem Strategiewechsel entschlossen und Handlungsfelder für Wandel identifiziert, darunter „Profil und Mehrwert“, „Dialog und Vertrauen“ und „Neue Lernkultur“. Diese Handlungsfelder kreisen alle um die Hashtags #Kommunikation, #Individuation, #Selbstorganisation, #Kooperation und #Verantwortung.

Betriebliche Bildung ist Personalentwicklung ist Organisationsentwicklung. Deswegen sind alle unsere Bildungsangebote an der Unternehmensstrategie ausgerichtet. Ziel ist es, dass unsere Auszubildenden Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln, die zu einer adäquaten Patientenversorgung beitragen. Betriebliche Bildung beachtet die Bedürfnisse aller Anspruchsgruppen, die sich im Schulzentrum interdisziplinär begegnen: Ein schulübergreifendes Miteinander soll die Auszubildenden auf eine berufsübergreifende Zusammenarbeit vorbereiten. Dadurch ist Bildung der Schlüssel für unternehmerische Vitalisierung und individuelle Entwicklung. Das ist mehr als nur Fachkräftesicherung, denn jede Kohorte prägt das Mindset des Unternehmens für das nächste Jahrzehnt.

Was hat Sie motiviert beizutreten?

Der Beitritt zur Initiative passt in unser Gesamtkonzept der Individuation: Wir ermöglichen hier jedem interessierten jungen Menschen eine passgenaue, auf ihn zugeschnittene Ausbildung. Wir setzen uns für eine Ausbildungswahl nach Stärken, Talenten und Ressourcen ein und wehren uns gegen Stereotype aus Traditionen, wie beispielsweise in der Gesundheits- und Krankenpflege. Wir geben klischeefrei jedem die Chance, genau den Weg zu finden, der für ihn am besten ist.
Dieser Ansatz manifestiert sich in unserer Kampagne „Ausbildung nach Maß“: Wir unterstützen unsere Auszubildenden dabei, ihre Ausbildung bestmöglich an das eigene Profil anzupassen, damit sie sich voll und ganz auf ihre Zukunft konzentrieren können. Das Thema ist uns so wichtig, dass wir es als erste berufsbildende Schule für Gesundheitsfachberufe im Südwesten sogar mit einer eigenen Schulsozialberaterin personalisiert haben.

Wie erfüllen Sie am Schulzentrum Klischeefreiheit, Frau Klein?

Ein wertvoller Beitrag zur Klischeefreiheit an unserem Schulzentrum ist die Implementierung der Schulsozialberatung. Sozialpädagogische Begleitung sehen wir als Qualitätsmerkmal einer neuen Schul- und Ausbildungskultur in den Gesundheitsfachberufen. Übergeordnetes Ziel ist es, dem Fachkräftemangel, der gerade im Gesundheitssektor gravierende Folgen für die Gesellschaft hat, entgegenzuwirken; ferner, alle Auszubildende zu unterstützen, mit ihren individuellen Ressourcen zu arbeiten, ihre Talente und Stärken zu fördern, zu begeistern, zu beraten und zu begleiten, damit sie einen erfolgreichen Abschluss erzielen und bestmöglich ins Berufsleben starten.

Der Zugang zur Schulsozialberatung ist niedrigschwellig, offen, vernetzt und klischeefrei: Eine Vollzeitstelle, zeitlich flexibel, ein Büro außerhalb des Schulzentrums, um Anonymität zu gewährleisten, Zusage von Schweigepflicht, Erlebbarmachen in den Klassen sowie virtuell und ein dynamisches Fachkonzept.

Frau Klein, auf welche Weise setzen Sie sich für eine geschlechtersensible Berufs- und Studienorientierung ein?

Ganz einfach: Im Mittelpunkt steht der Mensch. Als Schulsozialberaterin arbeite ich bedarfsorientiert, das. heißt ich fokussiere meine Arbeit auf die Bedürfnisse der Menschen, die mich kontaktieren. Wir lassen es erst gar nicht dazu kommen, uns an Klischees abzuarbeiten.

Die sozialpädagogische Beratung ist dabei ein Angebot, welches umfangreich genutzt wird. Viele Auszubildende und dual Studierenden sind im beruflichen und familiären Alltag überfordert und erschöpft. Sie kommen zu mir und erzählen über Stress, Probleme, Ängste und Unsicherheiten. Ich arbeite hier ressourcen- und stärkeorientiert. Gemeinsam mit dem jungen Menschen frage ich danach, welche Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten ihm zur Verfügung stehen. Meist visualisiere ich dies an der Flip Chart und modelliere die aufrechterhaltenden Bedingungen eines Problemmusters. Allein schon durch diese „Sichtbarmachung“ ist der junge Mensch animiert alternative Möglichkeiten zu entdecken, neue Wege auszuprobieren und einmal gesetzte Ziele zu hinterfragen. Ich ermutige ihn zu einem Perspektivenwechsel, ohne ihm Verantwortung abzunehmen.

Die Schulsozialberatung unterstützt die Klischeefreiheit und trägt ihren Teil am Schulzentrum bei. Sie ist wirksam durch ihre Vielfalt und durch ein geeintes Agieren aller Akteure.

Welche Erfolge haben Sie bisher mit Ihrer Arbeit erreicht?

Viele haben zum Beispiel Prüfungsangst. Durch mein Prüfungscoaching lernen die Auszubildenden und dual Studierenden Techniken kennen, um sich für den Tag konkrete Dinge vorzunehmen und diese auch umzusetzen. Die reine Arbeitszeit steigt dadurch an und sie haben am Ende des Arbeitstages das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Durch das Coaching erhalten sie einen Motivationsschub und viele Ratschläge und Kniffe, wie sie schwierige Phasen aus eigener Kraft besser überwinden können. Prüfungscoaching füllt die Lücke zwischen Nachhilfe und Psychotherapie.

Manchmal führt das Coaching auch an Schmerzpunkte, die sie unbewusst und penetrant blockieren: oftmals Perfektionismus und Versagensangst. Beides hält sie im Bestfall nicht mehr vom Arbeiten ab. Die größte Veränderung: sich auf die Prüfung freuen, anstatt dass sie Angst auslöst. Die Auszubildenden sind wieder handlungsfähig und erstarren nicht, wenn sie daran denken, an der Prüfungsvorbereitung arbeiten zu wollen. Am Ball bleiben ist die Devise!

Klischeefrei bedeutet für uns, jedem interessierten jungen Menschen eine auf ihn zugeschnittene Ausbildung zu ermöglichen. Wir setzen uns für eine Ausbildungswahl nach Stärken, Talenten und Ressourcen ein.

Ulrich Wirth M.A., Leiter Schulzentrum Universitätsklinikum des Saarlandes