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20.03.2018

„Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten steigt nach nur einer Woche“

Das Institut für innovative Bildung (IfiB) bietet neben anderem Technikprojekte für die siebte Jahrgangsstufe an. Diplom-Pädagogin Gisa Stich, Geschäftsführerin des IfiB (im Bild ganz rechts), spricht im Interview mit der Klischeefrei-Redaktion über die Erfolge des Konzepts.

Petra Lich, Florian Ball, Gisa Stich (Institut für innovative Bildung, IfiB, v.l.n.r.)

Frau Stich, können Sie Ihre Organisation kurz vorstellen?

Das Institut für innovative Bildung wurde 2004 aus dem Wunsch heraus gegründet, das Schulsystem zum Positiven zu verändern; es sollte gerechter werden, weniger auf Leistung bezogen und stattdessen an den Interessen der Schülerinnen und Schüler ausgerichtet sein.

Im Laufe der Zeit haben sich unterschiedliche Arbeitsfelder entwickelt und aus dem theoretischen Konstrukt ist eine Einrichtung erwachsen, die praktisch und mit guten Beispiel vorangeht. Zu den Projekten, die wir in unterschiedlichen Bereichen für die Kinder und Jugendlichen anbieten ist nun auch ein interessantes Fortbildungs- und Coachingangebot hinzugekommen für alle, die im sozialen Bereich arbeiten.

Auch beschränkt sich unsere Arbeit längst nicht mehr nur auf die Schule; wir kooperieren mit Bildungsträgern, Jugendämtern und anderen sozialen Einrichtungen, zum Beispiel auch aus dem Bereich der Arbeit mit Menschen mit Behinderung.

Die Bereiche, die wir aktuell abdecken sind:

  • Soziale Kompetenzen/Prävention, zum Beispiel „Wilde Kerle und Mutige Mädchen“ – ein modular aufgebautes Projekt zur Mobbing-, Gewalt- und Missbrauchsprävention und optional zur Pubertät (ausgezeichnet mit dem „Bündnis-für-Kinder-Preis 2012“), aber auch „GiraffenRaum“ ein Angebot zur Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg.
  • Musik- und Instrumentenbau, zum Beispiel „Rhythm and Soul“ – Bauen, Gestalten und Spielen von Cajóns oder auch „Guitar Creator“ – Designen, Herstellen und Spielen von E-Gitarren.
  • Technik, zum Beispiel „Boombox“ – Bauen von Aktivboxen mit Verstärker (mittlerweile auch mit Bluetooth) für Smartphone, mp3-Player usw. oder auch Bauen eines Mini-Kühlschranks, einer Lichtorgel usw. Die Angebote sind für Kinder ab der 3. Klasse geeignet und so aufgebaut, dass sich jede und jeder ein eigenes Gerät bauen kann. Ausgezeichnet mit dem „Energie-für-Bildung-Preis 2016“ und dem „Primus-Preis 2016“.
  • Gestaltung, zum Beispiel „GraffitiJam“ oder auch „Die Longboardwerkstatt“ – Designen, Bauen und Fahren eines eigenen Longboards.

Was hat Sie motiviert, sich in der Initiative Klischeefrei zu engagieren?

Seit dem Jahr 2012 besteht in Erlangen eine Kooperation mit der Siemens AG, der Bürgerstiftung Erlangen und den drei Mittelschulen vor Ort. Hier war der Plan, den Technikbereich aufzuwerten und wieder mehr Kinder für diesen Berufsorientierungszweig zu gewinnen.

Seitdem sind wir in jedem Schuljahr in allen 7. Klassen dieser Mittelschulen und arbeiten eine Woche mit jeder Klasse an einem Gerät ihrer Wahl. Wir treffen häufig auf Mädchen, die kein technisches Selbstkonzept haben und am Ende sehr überrascht von ihren Fähigkeiten sind und sich eine Karriere im technischen oder handwerklichen Bereich vorstellen können. Und das bereits nach einer Woche!

Das Thema „gendersensible Berufsorientierung“ ist auch mein Promotionsthema und so bin ich auf die Initiative „Klischeefrei“ gestoßen. Es war sofort klar, dass wir uns hier beteiligen.

Auf welche Weise setzt sich das IfiB für eine geschlechtersensible Berufs-und Studienorientierung ein?

Wir führen unsere technischen und handwerklichen Projekte stets koedukativ durch und versuchen die Leitung paritätisch zu besetzen, so dass auch Role Models für alle da sind. Viele Mädchen sind begeistert davon, sich selbst mit Maschinen und Werkzeugen ausprobieren zu können.

Es ist unser erklärtes Ziel zu zeigen, dass sie genauso für technische Berufe geeignet sind wie Jungen. Aus diesem Grund werden die Projekte auch evaluiert – einmal vorher und einmal nachher. Die Ergebnisse zeigen, dass sich, gerade was die Sicht auf technische Begabung angeht, sehr schnell die Meinungen ändern: Vorher haben wir bei der Frage „Sind Mädchen in technischen/handwerklichen Dingen genauso begabt wie Jungen“ oftmals nur eine Zustimmung von 20 Prozent, nach dem Workshop – mit der praktischen Erfahrung der Kinder – steigt diese auf bis zu 80 Prozent an!

Unsere Motivation ist also klar: Wir wollen, dass Kinder ihre Fähigkeiten, Talente und Interessen jenseits von geschlechtsstereotypen Vorgaben entwickeln und diesen frei nachgehen können ohne sozial sanktioniert zu werden. Dafür wollen wir ein Zeichen setzen!

Welche Erfolge haben Sie bisher mit Ihrer Arbeit erreicht?

Wir erreichen, dass sich Mädchen trauen, den technischen Berufsorientierungszweig ab der 8. Klasse zu wählen und es aushalten nur zu zweit in einer Jungengruppe zu sein. Wir wissen von einigen, die den Zweig nach dem Projekt noch einmal gewechselt haben und in eine technische Ausbildung gegangen sind, zum Beispiel zur Kfz-Mechatronikerin. Auch steigt das Interesse an Weiterbildung bei den Kindern stark an.

Ich möchte aber auch nicht die Jungen vergessen. Viele, die im normalen Unterricht auffällig werden, vielleicht nicht gut mitkommen, stören usw. sind in unseren Projekten das erste Mal gut. Sie machen mit uns die ersten positiven Schulerfahrungen und können so ein ganz neues Bild von sich selbst entwickeln. Das versetzt auch die Lehrkräfte oft in Staunen und führt zu einer neuen Beziehung zu diesen Schülern.

Die Belegung des technischen Berufsorientierungszweigs an den Schulen, in denen wir in der 7. Klasse ein Technikprojekt durchgeführt haben steigt deutlich an und holt auch die Mädchen mit ins Boot!