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Forum 2: Schulische Berufs- und Studienorientierung und Geschlecht

Moderation: Jennifer Reker (Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V.)

Dekonstruktion von Geschlechterdifferenzen

Berufsorientierung gewinnt in bildungspolitischen Agenden zunehmend an Gewicht. Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland von der Universität Hamburg und fachliche Leitung des Forums führte in das Thema ein und stellte verschiedenen Maßnahmen vor, die zur Überwindung geschlechterstereotyper Berufswahl beitragen sollen. Evaluationen - sofern sie vorliegen - von Maßnahmen wie dem Mädchen-/Jungen-Zukunftstag (Girls'Day/Boys'Day), verschiedenen MINT-Initiativen sowie dem Berufsorientierungsprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zeigten, so Faulstich-Wieland, nur schwache Resultate. In der schulischen Berufsorientierung seien Genderkenntnisse nur in den wenigsten Fällen vorhanden und würden so auch nicht angewendet. Faulstich-Wieland hält die Sensibilisierung und Qualifizierung des Lehrpersonals im Hinblick auf Gender-Kenntnisse für erforderlich, um eine Reproduktion von Stereotypen seitens der Lehrkräfte auszuschließen. Für einen gendersensiblen Berufsorientierungsunterricht sei zudem die Dekonstruktion von Geschlechterdifferenzen notwendig. Als eine Möglichkeit nannte sie die Uminterpretation von Berufen und machte dies anhand eines Beispiels deutlich: Entsprechend der Zuordnung von erforderlichen Eigenschaften für die Berufe "Verkäuferin bei McDonalds (w)" und "Versicherungsvertreter (m)" könnten beide Berufe sowohl männlich als auch weiblich konnotiert werden. 

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Aus der Praxis: Berufs- und Studienkonzept | Werner-von-Siemens-Gymnasium

Als Koordinatorin und Koordinator für Berufs- und Studienorientierung am Werner-von-Siemens-Gymnasium Berlin haben Sandra Thomalla und Urs Dudzus seit 2011 ein umfassendes Konzept für ihre Schule erarbeitet, das sie im Forum vorgestellt haben. Ihr Konzept, das 2017 mit dem Siegel für exzellente berufliche Orientierung ausgezeichnet wurde, enthält Aspekte einer geschlechtergerechten Berufs- und Studienorientierung und zeigt Entwicklungspotenziale auf. Neben der engen Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern aus der Wirtschaft und der freiwilligen Teilnahmemöglichkeit aller Klassen am Girls’Day und Boys’Day (mit verpflichtender Teilnahme in Klasse 8, inkl. Vor- und Nachbereitung der Maßnahmen) haben Thomalla und Dudzus für die Sek II einen zweisemestrigen Grundkurs zur Berufs- und Studienorientierung konzipiert und umgesetzt, der mit in die Abiturbenotung eingeht.

Aus der Praxis: Geschlechtergerechte Unterrichtskonzepte des GELEFA-Projekts | Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd

Prof. Dr. Marita Kampshoff von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd stellte die geschlechtergerechten Konzepte für den Unterricht vor, die im GELEFA-Projekt entwickelt wurden. Grundlegend war dabei der fachdidaktische Dreischritt Konstruktion/Dramatisierung – Rekonstruktion/Reflexion und Dekonstruktion/Entdramatisierung, der hilfreiche Anknüpfungspunkte zur konkreten Unterrichtsplanung bietet. Dazu wurde mit zwei Gruppen gearbeitet: einer Interventionsgruppe, mit der nach dem Dreischritt gearbeitet wurde, sowie mit einer Kontrollgruppe. In der Interventionsgruppe wurden beispielsweise männlich konnotierte Berufe untersucht und die möglichen Schwierigkeiten von Frauen in diesen Berufen erarbeitet. Die Ergebnisse wurden systematisiert und reflektiert und im dritten Schritt dekonstruiert. Dazu wurde ein Role Model eingeladen, das in einem männlich besetzten Beruf arbeitet und von ihren Erfahrungen berichtete. Die Auswertung ergab, dass nach Durchführung des Dreischritts die männlich besetzten Berufsfelder kritischer bewertet wurden als in der Befragung vor der Unterrichtseinheit. Selbst die Ergebnisse der Kontrollgruppe waren positiver als die der Interventionsgruppe. Die Dramatisierung wirkte also stärker als die Entdramatisierung. Als Quintessenz wurde festgehalten, dass in einem geschlechtergerechten Berufsorientierungs-Unterricht vorrangig mit entdramatisierenden Elementen gearbeitet werden sollte. Spezifische fachdidaktische Problemfelder, so Kampfshoff, ließen sich mit der Geschlechterforschung verknüpfen, so dass daraus Erkenntnisse für einen geschlechtergerechten Berufsorientierungs-Unterricht gewonnen werden könnten, der die Gefahr reduziere, Stereotype über Mädchen und Jungen zu reproduzieren oder sogar zu verstärken.

Aus der Praxis: MINT für alle | Excellence-Schulnetzwerk MINT EC. e.V. Berlin

Mädchen und Jungen in Deutschland haben aktuell weitestgehend traditionelle Vorstellungen von der eigenen gesellschaftlichen und somit auch beruflichen Verantwortung. Dr. Niki Sarantidou stellte in ihrem Impulsvortrag dar, dass die neuen Technologien, die das zukünftige Zusammenwirken von Menschen in neuen Dimensionen darstellen, eine große Chance für Jungen und Mädchen bergen, künftig aufgrund ihrer tatsächlichen Talente und Interessen eine Wahl für ihre persönliche Zukunft zu treffen. Während heute noch Mädchen und Jungen oft nach vermeintlich geschlechtsspezifischen Kriterien über die Berufswahl entscheiden, würden in Zukunft womöglich die Grenzen zwischen dem „weiblichen“ und „männlichen“ Beruf verwischen, so Sarantidou. MINT-EC arbeitet in seinen Maßnahmen für Mädchen und Jungen daran, das Interesse an MINT-Themen zu wecken und aufzuzeigen, dass Berufe niemals als rein "männlich" oder rein "weiblich" beschrieben werden können. Darüber hinaus hat der Verein für Fördermaßnahmen im MINT-Bereich eine Quote von jeweils 50 Prozent eingeführt, wodurch eine tatsächliche Geschlechterparität erreicht werden konnte.