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05.06.2019

Gleitzeit kontra Geschlechterklischees

Ein wesentlicher Grund für den Gender Pay Gap, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, ist Mutterschaft. Ein neuer WSI-Report geht der Frage nach, ob Gleitzeit helfen kann, Lohnnachteile durch Mutterschaft abzumindern – und kommt zu einem überraschenden Ergebnis.

Eine junge Frau – zu sehen sind nur Oberkörper und Unterarme – sitzt mit Notizblock, Stift in der Hand, Taschenrechner und Sparschwein am Schreibtisch

Frauen verdienen in Deutschland unbereinigt gemessen 21 Prozent weniger als Männer. Eine Hauptursache für den Gender Pay Gap ist Mutterschaft. Besonders längere Elternzeiten reduzieren die Löhne von Frauen in Deutschland erheblich.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) hat untersucht, ob Mütter in Deutschland – wie es in anderen Ländern der Fall ist – von flexibleren Arbeitszeiten, insbesondere von Gleitzeit, profitieren und mit Gleitzeit geringere Lohnnachteile haben.

In Deutschland, so der Report, sind die Lohnnachteile durch Mutterschaft im internationalen Vergleich mit am höchsten: Mütter von zwei Kindern haben in Deutschland bis zum Alter von 45 Jahren bis zu 42 Prozent weniger verdient als kinderlose Frauen. Auch unmittelbar nach der Geburt eines Kindes müssen Mütter in Deutschland mit Lohneinbußen von bis zu 18 Prozent rechnen.

Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ausgelöst durch die Doppelbelastung, sind neben dem Humankapitalverlust und der negativen Signalwirkung von Mutterschaft ein weiterer Grund für die Lohnnachteile von Müttern. Wenn Betriebe Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf treffen, können diese mutterschaftsbedingte Lohneinbußen verhindern oder minimieren. Gleitzeit, so die Erfahrung aus anderen Ländern könnte gerade dieser Gruppe von Müttern helfen, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erlangen und Lohnnachteile zu vermeiden.

Das Ergebnis der Untersuchung ist ernüchternd: „Obwohl Gleitzeit im Allgemeinen einen positiven Effekt auf die Löhne von Müttern hat, kann Gleitzeit den negativen Effekt von längeren Elternzeiten nicht abpuffern. Ganz im Gegenteil haben Frauen mit längerer Elternzeit, die von festen Arbeitszeiten zu Gleitzeit wechseln, sogar größere Lohneinbußen zu verzeichnen. Sie verdienen 16 Prozent weniger als zuvor“, heißt es im WSI-Report Nr. 49.

In ihrem Fazit fassen die Autorinnen Yvonne Lott und Lorena Eulgem zusammen: „Anders als in den USA und Kanada federt Gleitzeit den negativen Effekt von Mutterschaft auf Löhne in Deutschland nicht ab. Im Gegenteil verstärkt Gleitzeit die Lohneinbuße für Mütter mit längerer Elternzeit. Müttern, denen Arbeitsengagement aufgrund längerer Elternzeiten abgesprochen wird, scheint noch weniger zugetraut zu werden, mit Gleitzeit produktiv zu sein.“

Die Tatsache, dass Gleitzeit sogar zu größeren Lohneinbußen bei Müttern führt, hat auch mit in Deutschland vorherrschenden Rollenbildern und Geschlechterklischees zu tun: Wenn traditionelle Rollenmuster vorherrschen und von Müttern erwartet wird, in erster Linie für die Familie da zu sein, dann widerspricht diese Erwartung der idealen Vorstellung von Arbeitskräften, die den Beruf vor alles andere stellen, und führt somit zu Karrierenachteilen, heißt es im Fazit des Reports.