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06.06.2019

„Beim Frauenanteil in der Ausbildung ist noch Luft nach oben“

Seit Mai 2019 ist die Handwerkskammer Koblenz Partnerorganisation der Initiative Klischeefrei. Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich stellt die vielfältigen Aktivitäten der Organisation in Bezug auf klischeefreie Berufsorientierung vor.

Diplom-Betriebswirt (FH) Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der HWK Koblenz

Herr Hellrich, können Sie die Handwerkskammer Koblenz kurz vorstellen?

Die Handwerkskammer Koblenz ist eine Selbstverwaltungseinrichtung des Handwerks im nördlichen Rheinland-Pfalz. Wir setzen uns aktiv für das Handwerk ein, sind Ideengeber und Mittler auf verschiedenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Ebenen.

Aktuell sind bei der Handwerkskammer Koblenz rund 19.500 Betriebe eingetragen. Dies entspricht 37 Prozent aller Handwerksbetriebe in Rheinland-Pfalz. In diesen Betrieben arbeiten etwa 107.000 Beschäftigte– im Landesvergleich sind das 40 Prozent aller Menschen, deren berufliche Heimat das Handwerk ist. Der durch Handwerksbetriebe im Norden des Landes generierte Umsatz liegt bei ca. 12,6 Mrd. Euro (bezogen auf RLP-Niveau 43 Prozent). 41 Prozent aller Handwerkslehrlinge (8.121) im Land werden im Kammerbezirk Koblenz ausgebildet.

Die Handwerkskammer Koblenz ist ein modernes Kompetenzzentrum in Sachen Berufsqualifizierung mit Berufsbildungszentren in Koblenz: Zentrum für Ernährung und Gesundheit, Metall- und Technologiezentrum mit schweißtechnischer Lehranstalt und Laserzentrum, Kompetenzzentrum für Gestaltung, Fertigung und Kommunikation, Bauzentrum mit Zentrum für Kunststoff und Farbe. Sowie in der Region, in sechs weiteren Berufsbildungseinrichtungen in Ahrweiler, Bad Kreuznach, Herrstein, Rheinbrohl, Simmern und Wissen.

Was hat Sie motiviert, der Initiative Klischeefrei beizutreten?

Der Frauenanteil in der Geselleninnen- und Gesellen- sowie Meisterinnen- und Meister-Ausbildung beträgt in unserem Kammerbezirk 20 Prozent. Das ist erfreulich aber da ist Luft nach oben – aus vielerlei Hinsicht.

Frauen bringen viele Kompetenzen mit, die für Handwerksbetriebe wertvoll sind. Dies zu allen Zeiten und gerade jetzt in Zeiten des Fachkräftemangels. Klischeefreie Beratung zu Aus- und Weiterbildung wird von uns in der Praxis gelebt. Daher ist es für uns nur konsequent auch offizieller Partner der Initiative Klischeefrei zu sein.

Auf welche Weise setzen Sie sich für eine geschlechtersensible Berufs- und Studienorientierung ein?

Klischees setzen sich aus tradierten Werten und Vorstellungen einer Gesellschaft und der Herkunft zusammen. Die Handwerkskammer sieht sich mitten in der Gesellschaft unserer Region verortet. Unsere Beraterinnen und Berater holen alle Interessierten dort ab wo sie stehen und entwickeln gemeinsam Ideen zur Gestaltung einer individuellen beruflichen Entwicklung.

Von Beginn bieten wir jährlich am Girls‘Day Workshops in gewerblich-technischen Berufen an. In der Regel sind an diesem Tag 40 Mädchen aus den allgemeinbildenden Schulen unseres Kammerbezirks in unseren Bildungszentren unterwegs und erarbeiten in Workshops ein Werkstück, das sie mit nachhause nehmen dürfen.

Unsere Coaches für betriebliche Ausbildung haben nicht nur den direkten Kontakt zu Bewerberinnen und Bewerbern, sondern sehr häufig auch zu deren Eltern. Auf diesem Wege lassen sich Bedenken gegen ein bestimmtes Berufsbild thematisieren und ausräumen.

Das Projekt „Gold Grün“ ist genderneutral mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit. Ein Thema, auf dessen Fragen wir Antworten finden müssen, und welches uns alle auch zukünftig beschäftigen wird. In unserem Projekt vom Hörsaal ins Handwerk steht unser Beraterinnenteam allen Studienzweiflerinnen mit Rat und Tat zur Verfügung um neue berufliche Perspektiven zu entwickeln.

Seit 2015 sind wir aktiv in der Beratung von geflüchteten Menschen tätig. Diese kommen aus Kulturen deren Rollenverständnis von Mann und Frau von unserem westeuropäischen Verständnis sehr weit entfernt ist. Hier begleiten unsere Flüchtlings Coaches mit viel Einfühlungsvermögen auf dem Weg in Ausbildung.

Welche Erfolge haben Sie bereits mit Ihrem Engagement erreichen können?

Gender Balance ist ein Ziel und dieses gilt auch für uns intern. Den Frauenanteil bei den Beschäftigten der HWK Koblenz konnten wir zum Ende des Jahres 2018 auf 45 Prozent steigern. Nur das, was wir selber vorleben, können wir glaubwürdig nach außen vermitteln.

Auch wenn wir den Anteil der Frauen in den gewerblichen-technischen Berufen weiter steigern wollen, so erleben wir in der Praxis bei denen, die sich dafür entscheiden, sehr erfreuliche Entwicklungen. Die Menschen auf diesem Weg begleiten zu dürfen ist uns Motivation und Dank zugleich.

Klischees gibt es jedoch nicht nur bezogen auf die Genderthematik, sondern auch auf den Stellenwert der dualen Ausbildung in unserer Gesellschaft in Vergleich zu schulischen Angeboten. Hier stehen wir in der ersten Reihe, um unaufhörlich für die duale Ausbildung zu werben. All unsere Aktivitäten tragen viele Früchte, zum Beispiel, dass wir eine feste Größe bei den Berufs- und Studienorientierungsveranstaltungen an allen allgemeinbildenden Schulen in unserem Kammerbezirk sind.