BP:
 

Grußwort der Bundesjugendministerin Dr. Franziska Giffey

Grußwort der Bundesjugendministerin Dr. Franziska Giffey

– Es gilt das gesprochene Wort. –

Sehr geehrter Herr Dr. Schweitzer,
sehr geehrter Herr Gunkel,
sehr geehrte Frau Prof. Schwarze,
sehr geehrter Herr Diaz,
sehr geehrte Partnerinnen und Partner der Initiative,
sehr geehrte interessierte und engagierte Gäste,

Ich war in diesem Jahr zum Frauentag bei den Müllwerkerinnen der BSR. Ich hab da auch so einen orangenen Anzug bekommen und dann ging’s mit auf den Müllwagen. Die Frauen dort haben mir berichtet, dass sie immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert werden: Die Arbeit sei doch hart und anstrengend, wie schaffen Sie denn das, so als Frau? Sie haben sich aber ganz bewusst für diesen Job entschieden. Und sie machen ihn gern.

Aber wie das immer so ist mit Mythen und Vorurteilen: Sie neigen dazu hartnäckig zu sein und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Dabei passen gerade Geschlechterklischees häufig nicht zu den Wünschen und Potenzialen junger Menschen. Und sie passen nicht zu einer modernen Lebens- und Arbeitswelt.

Mein Leitsatz ist: Frauen können alles. Das ist Fakt und Forderung zugleich.

Junge Menschen sollen frei ihren Weg gehen können. Sie sollen das Beste für sich durch ihre Berufswahl erreichen, sich entfalten können und Spaß an ihrer Berufstätigkeit haben. Da verändert sich schon was. Man sieht das immer ganz gut an medialen Vorbildern – beispielsweise in Filmen oder Serien. Früher waren Frauen im Fernsehen oft nur Sekretärin oder Arzthelferin bei der Praxis Bülowbogen. Noch heute – und auch in den Hollywood-Filmen – sind die tragenden Rollen meist männlich. Die erste Tatort Kommissarin gab es zwar schon 1978. Aber wo ist die erste Traumschiff-Kapitänin? Ganz so weit sind wir also noch nicht.

Und auch die Zahlen sagen, es gibt Veränderungen, aber es liegt noch ein gutes Stück Arbeit vor uns. Aus dem Berufsbildungsbericht 2018 wissen wir, Frauen haben noch immer in den sog. „Frauenberufen“ die größten Chancen, eine Ausbildung zu beginnen oder eine Anstellung zu bekommen. Immer noch werden Schülerinnen von Betrieben und Unternehmen seltener zum Auswahlgespräch geladen, weil ihre Bewerbungsunterlagen trotz objektiv gleichen Leistungen schlechter bewertet werden, als die von männlichen Bewerbern. Es reicht also nicht, nur junge Frauen für bestimmte Berufe zu begeistern. Wir müssen auch die Arbeitgeber in die Verantwortung nehmen.

Und übrigens können Männer auch alles. Trotzdem gibt es immer noch viel zu wenige Männer in den Gesundheits-, Pflege- und Erziehungsberufen. Wir wissen, dass es da durchaus Interesse gibt. Das sehen wir jedes Jahr beim Boys’Day. Aber viele junge Männer lassen sich noch immer abschrecken. Da reicht es häufig schon, dass die sozialen Berufe als „Frauenberufe“ tituliert werden. Das gilt dann oft als unmännlich. Und hinzu kommt das Image vom schlechten Verdienst, welches nicht zum „Versorger-Ideal“ passt. Das sagen Ihnen schon die Kleinsten. Letztes Jahr habe ich beim Boys‘Day die Jungs gefragt: Könnt ihr euch auch vorstellen Erzieher zu werden? Wissen Sie, was die Antwort war? „Da verdient man zu wenig.“

Erfreulicherweise steigt der Zulauf von Männern zu sozialen Ausbildungs- und Studiengängen insgesamt jedoch an. 2018 starteten ebenso viele junge Männer eine Ausbildung zum Altenpfleger, Gesundheits- und Krankenpfleger und Erzieher wie zum Metallbauer, Maler und Lackierer, Fachlageristen, Maschinen- und Anlagenführer oder Gärtner. Es interessieren sich auch immer mehr Männer für Studiengänge im Bereich Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung (SAGE). Im Bereich der Erziehungswissenschaften ist die Anzahl der männlichen Studierenden in den letzten zehn Jahren um knapp 30 Prozent gestiegen. Im Bereich Soziale Arbeit hat sich die Anzahl der männlichen Studierenden mehr als verdoppelt. Bei den Gesundheitswissenschaften sogar mehr als verdreifacht. Diese Entwicklung müssen wir weiter stärken und das machen wir im Rahmen der Initiative Klischeefrei.

Junge Menschen sollen einen Beruf wählen, der zu ihnen passt. Denn wer sich für den falschen Beruf entscheidet, wird darin oft nicht glücklich. Diese Fehlentscheidungen werden häufig durch Zweit- und Drittausbildungen/-qualifikationen korrigiert, zum Teil auch erst sehr spät im Leben. Beispielsweise sind die Teilnehmenden unseres ESF-Programms „Quereinstieg - Männer und Frauen in Kitas“ im Durchschnitt Ende Dreißig, wenn sie sich neu qualifizieren. Zudem haben nicht nur junge Menschen eine größere Auswahl, wenn Berufe nicht mehr nach typisch männlich oder typisch weiblich aufgeteilt werden. Auch für die Unternehmen ist das gut, da sie dann mehr geeignete Nachwuchskräfte zur Verfügung haben.

Das alles kann nur gelingen, wenn sich in der Berufs- und Studienwahlbegleitung ein Sinneswandel stattfindet. Hier leistet die Initiative Klischeefrei einen wichtigen Beitrag. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert die Initiative gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung Forschung. Und wir freuen uns, dass schon so viele Partnerinnen und Partner beigetreten sind. Bundesweit sind bereits schon rund 180 Partnerinnen und Partner mit dabei. Darunter auch sieben Länder mit Berlin, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Niedersachen, NRW und Mecklenburg-Vorpommern. Wir brauchen ein breites Bündnis aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, um Jugendliche auf ihrem Weg, frei von Geschlechterklischees zu begleiten. Und wir müssen alle am Berufsorientierungsprozess beteiligten Akteure zusammenbringen. Vom Elternhaus über Kita, Schule, Hochschule, Berufsberatung bis zu den Unternehmen.

Die Klischeefrei-Website macht die Maßnahmen aller Partnerinnen und Partner sichtbar und dient so als Best Practice-Pool. Zum Beispiel finden Sie dort Deutschlands größte Datenbank zur Berufs- und Studienwahl ohne Geschlechterklischees – die Klischeefrei-Infothek mit Studien, Fachbeiträgen, Arbeitsmaterialien sowie Praxisbeispielen. Diese Materialien regen an und unterstützen dabei die Praxis klischeefrei zu gestalten.

Die Berufs- und Studienwahl ist kein einzelnes Ereignis, sondern eingebunden in einen Lebensverlauf. Das geht schon sehr früh los: Das Kinderzimmer ist rosa oder blau. Zum Geburtstag gibt es für die einen Barbie und Puppenhäuser, für die anderen Bagger und Dinosaurier. Auf dem Mädchen-T-Shirt steht „Prinzessin“, auf dem für Jungen „Superheld“. Bei der Kleidung ist es gerade für Mädcheneltern fast unmöglich, Klamotten ohne rosa-Sternchen-Glitzer einzukaufen. Erste Rollenbilder setzen sich in den Köpfen fest und werden im Laufe des Lebens, über Kita, Schulen, Elternhaus, Berufsberatung, Hochschulen, Ausbildungsstellen weiter gefestigt.

Dabei braucht es gerade vielfältige Beispiele, die sich Jugendliche zu Vorbildern machen können. In diesem Sinne sind die Zukunftstage, Girls’Day und Boys’Day so wichtig. Hier können Jungen und Mädchen schon mal ins Berufsleben reinschnuppern und sich selbst ein Bild machen. Ich habe dieses Jahr 20 Jungen in der DRK-Klinik Berlin-Mitte besucht und rund 100 Mädchen beim Technik-Parcours von Siemens. Dort erlebte ich die Begeisterung der Jugendlichen für diese angeblich „untypischen“ Berufsbereiche. Und es ist wichtig, dass auch Jugendlichen bewusst ist, dass ihr Geschlecht bei der Berufswahl immer eine Rolle spielt, denn es löst oft unbewusst Vorstellungen dazu aus, was passen könnte und was nicht.

Davon ist wohl niemand gänzlich frei. Auch nicht diejenigen, die junge Menschen begleiten und sie befähigen sollen, sich frei, sich klischeefrei, zu entwickeln. Damit bewusst umzugehen, ist eine tägliche Herausforderung – für uns alle.

Meine Damen und Herren,

Frauen können alles. Männer auch. Dafür leisten Sie hier gute und wertvolle Arbeit. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Ihnen bedanken. Und das möchte ich an dieser Stelle auch klar sagen: wir werden diese Arbeit gemeinsam fortführen. Dafür werden wir als BMFSFJ auch weiterhin Fördermittel zur Verfügung stellen.

Zu den inhaltlichen Schwerpunkten wird uns jetzt Herr Diaz noch mehr erzählen. Herr Diaz, ich übergebe Ihnen das Wort!