BP:
 

12.11.2019

„Wir bemühen uns, die Wahlfreiheit zu erhöhen“

ArbeiterKind.de unterstützt Studierende der ersten Generation mit einem großen ehrenamtlichen Netzwerk. Dabei legt ArbeiterKind.de großen Wert auf das Aufbrechen von Rollenklischees und die Erhöhung der Wahlfreiheit, wie Pressesprecherin Julia Kreutziger erzählt.

Julia Kreutziger , Pressesprecherin ArbeiterKind.de

Frau Kreutziger, könnten Sie Arbeiterkind.de bitte kurz vorstellen?

ArbeiterKind.de hat sich in den letzten zehn Jahren zu der größten gemeinnützigen Organisation zur Unterstützung von Studierenden der ersten Generation in Deutschland entwickelt. Über 6.000 Ehrenamtliche engagieren sich in 80 lokalen Gruppen bundesweit und informieren Schülerinnen und Schüler, Studierende und Eltern aus nicht-akademischen Familien über die Studienorganisation und die Möglichkeiten der Studienfinanzierung. Sie machen ihnen Mut zum Studium. Wir setzen uns dafür ein, dass jedes Kind, das die Voraussetzungen mitbringt, ein Studium aufnehmen kann, unabhängig vom familiären Bildungshintergrund.

Das dieser Einsatz notwendig ist, zeigen aktuelle Zahlen. Momentan ist die Bildungslaufbahn in Deutschland immer noch eng mit dem Elternhaus verknüpft. Von 100 Kindern aus Familien ohne akademische Tradition nehmen nur 27 ein Studium auf, obwohl doppelt so viele das Abitur erreichen. Von 100 Akademikerkindern studieren dagegen 79. (Quelle: Untersuchung des DZHW zur Hochschulbeteiligung in Deutschland, DZHW Brief 3/2018).

Wir begleiten Schülerinnen und Schüler sowie Studierende der ersten Generation auf ihrem Weg vom Studieneinstieg bis zum erfolgreichen Studienabschluss und Berufseinstieg. Über den sehr erfolgreichen peer-to-peer-Ansatz, wonach viele der Engagierten selbst Studierende der ersten Generation sind, werden Ratsuchende bei ArbeiterKind.de in offenen Treffen, Sprechstunden, Infoveranstaltungen in Schulen, über das Infotelefon, ein persönliches Mentoringangebot, eine Webseite und ein eigenes soziales Netzwerk besonders niedrigschwellig, glaubwürdig und persönlich erreicht.

Was hat Sie motiviert, der Initiative Klischeefrei beizutreten?

Wir haben die Vision, dass in Deutschland jedes Kind aus einer nicht-akademischen Familie mit entsprechenden Voraussetzungen die Chance auf einen Bildungsaufstieg hat, und zwar in einem Berufsfeld, dass den Neigungen und Interessen entspricht, jenseits von der sozialen Herkunft und weiteren Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts, der Religionszugehörigkeit oder der ethnischen Herkunft.

Wir möchten, dass mehr junge Menschen ihren Begabungen und Interessen unabhängig von Klischees nachgehen und wegen ihrer Entscheidung für ein passendes Studium in ihrem Beruf erfolgreich und glücklich werden.

Auf welche Weise setzen Sie sich für eine geschlechtersensible Berufs- und Studienorientierung ein?

Wir haben einen Diversity-Leitfaden entwickelt, der die Ehrenamtlichen in ihrer Arbeit mit Ratsuchenden unterstützt und für das Thema sensibilisiert. Der Leitfaden enthält Empfehlungen, beispielsweise Rollenklischees zu vermeiden, unabhängig von den traditionellen Rollenvorstellungen zu unterstützen. Ein Beispiel: Im Gespräch mit einem Schüler / einer Schülerin sollte in Betracht gezogen werden, dass zum Beispiel er für das Grundschul-Lehramt und sie für die Software-Entwicklung begabt sein könnte.

Ganz allgemein versuchen wir in unseren Schulbesuchen, Sprechstunden, an Infoständen und in Mentoring-Beziehungen zu ermutigen, den Weg zu gehen, der zu der Person passt, auch wenn er nicht den gesellschaftlichen Rollenerwartungen entspricht.

Wir stellen auch fest, dass viele Menschen von einzelnen Studienfächern und Berufen nur vage Vorstellungen haben. Daher bemühen wir uns, die Wahlfreiheit zu erhöhen, indem wir Studienfächer und Berufe sensibel und vielfältig darstellen. Hier kann man auch mit Hilfe entsprechender Vorbilder arbeiten, die eben nicht dem Klischee entsprechen.

Auch der Einsatz von Bildern und der Sprache gehört für uns zu diesem Thema, da beides die Wahrnehmung beeinflusst und Klischees untermauern kann. Wir versuchen, uns davon zu lösen und Ratsuchende auf diese Weise zu unterstützen, dass der passende Bildungsweg eingeschlagen werden kann.

Welche Erfolge haben Sie bisher mit Ihrer Arbeit erreicht?

ArbeiterKind.de kann auf eine über zehn Jahre währende Erfolgsgeschichte blicken. 2018 haben wir rund 30.000 Schülerinnen, Schüler und Studierende in persönlichen Gesprächen erreicht. Zum Beispiel wurden 343 Informationsveranstaltungen in Schulen durchgeführt, auf denen ArbeiterKind.de 13.600 Schülerinnen und Schüler zum Studium informiert hat.

Unser Netzwerk ist in wenigen Jahren auf über 14.000 Nutzer und Nutzerinnen angewachsen. Wir haben mittlerweile 80 lokale Gruppen bundesweit und bauen unser Angebot weiter aus. Viele Biographien zeigen uns, dass wir mit unserer Arbeit wichtige Impulse setzen und Bildungswege positiv beeinflussen konnten. Nicht zuletzt werden die Studierenden der ersten Generation auch durch ihr ehrenamtliches Engagement bei ArbeiterKind.de in ihrer Persönlichkeit gestärkt und können sich weiterentwickeln.

Die gemeinnützige Organisation wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Engagementpreis. Im Oktober 2018 erhielt Gründerin und Geschäftsführerin Katja Urbatsch das Bundesverdienstkreuz.