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12.03.2020

Geschlechterklischees im Sport: „Wir müssen Glaubenssätze durchbrechen“

Nicht nur in der Wirtschaft dominieren Männer die Chefetagen, gelten als Leistungsträger, reklamieren Erfolge für sich. Auch im Sport sind Frauen unterrepräsentiert und erleben Benachteiligung aufgrund von Geschlechterklischees. Das betrifft Funktionärinnen und aktive Sportlerinnen gleichermaßen.

Bergsteigerin vor imposanter Kulisse im Himalaya

Da ist zum Beispiel die Bergsteigerin und Ausdauersportlerin Anja Blacha, die am 9. Januar 2020 als erste Frau alleine und ohne Hilfsmittel den Südpol erreichte. Die fast 1.400 km lange Strecke legte sie auf Skiern zurück. Was sie zum Überleben brauchte, zog sie auf einem Schlitten hinter sich her. Mit 27 Jahren hatte Blacha bereits alle sogenannten „Seven Summits“, die höchsten Berge auf allen Kontinenten, bestiegen. Am Mount Everest war sie die jüngste Deutsche, die den Gipfel bisher erreicht hat. Im Juli 2019 erklomm sie als erste deutsche Frau den für sein unbeständiges Wetter und seine Steinschlaggefahr berüchtigten 8.611 Meter hohen K2 in Pakistan. Sie durchquerte zu Fuß das grönländische Inlandeis und tourte im Winter auf Skiern durch Norwegen.

Für ihre Leistungen erhält sie viel Zuspruch und Respekt. Doch Blacha hat auch andere Erfahrungen gemacht. Eine Frau im Extremsport würde oft nicht ernst genommen, ihre Leistung herabgewürdigt oder relativiert. Auch sei es schwierig, Sponsoren zu finden, sagt sie. „Wenn eine Frau das schafft, dann kann es nicht so schwierig sein“, so Blacha. „Wenn jemand wie ich auf den Mount Everest steigt, okay, dann ist es de facto nichts mehr wert.“ Das Besondere an ihren Expeditionen würde nicht gesehen, denn wenn eine Frau so etwas tut, könne es nicht besonders sein. Auf der anderen Seite gelte sie als männlich und burschikos, denn nur durch solche Zuschreibungen könnten sich Männer in der Szene ihre Leistungen erklären.

Not bad for a girl

Ihre Südpol-Expedition nutzte Anja Blacha deshalb, um auf Geschlechterklischees und Ungleichheiten in ihrem Sport aufmerksam zu machen. Unter dem Motto „Not bad for a girl – almost impossible for everyone else“ münzte sie den Satz um, den sie im Zusammenhang mit ihren Expeditionen immer wieder zu hören bekam, und will anderen Frauen Mut machen, ihre sportlichen Ziele ungeachtet aller Vorurteile zu verfolgen.

Dass Geschlechterklischees auch den Aufstieg von Frauen in Führungspositionen im Sport behindern, bestätigt Katja Kraus, Geschäftsführende Gesellschafterin der Agentur Jung von Matt/Sports. Die ehemalige Fußballnationalspielerin war zuvor die erste Frau, die bei einem Bundesligaverein einen Vorstandsposten bekleidete. Acht Jahre arbeitete sie als Vorständin für Kommunikation und Marketing beim Hamburger SV. In der Sportbranche sind Spitzenpositionen zu über 95 Prozent von Männern besetzt – und das in einer Branche, die sich Vielfalt und Buntheit auf die Fahnen schreibt.

Mit ihrem Arbeitgeber Jung von Matt/Sports hat Katja Kraus deshalb die Initiative Equal Play ins Leben gerufen, die sich für mehr Gleichberechtigung in der Sportbranche einsetzt. Sie sagt: „Wir müssen Glaubenssätze durchbrechen“ und ermutigt Frauen, selbstbewusster ihren Weg zu gehen, sich Unterstützung zu suchen und sich sehr viel stärker miteinander zu vernetzen. Die Verbände und Unternehmen wiederum müssten Diversität als Chance begreifen und etablierte Arbeitsmodelle hinterfragen, um für weibliche Führungskräfte attraktiver zu werden.

Mehr öffentliche Sichtbarkeit und Wertschätzung für Frauen im Sport

Klischees im Sport bestätigt auch Heike Ullrich, Geschäftsführende Direktorin Verbände, Vereine und Ligen beim Deutschen Fußballbund. Zwar habe sie sich selbst nie wegen ihres Geschlechts in ihrem Karriereweg behindert gefühlt. Als Jugendliche hatte sie jedoch nach der C-Jugend keine Möglichkeit mehr, Fußball zu spielen. Gemischte Teams waren in älteren Jahrgängen nicht zugelassen und eine Mädchenmannschaft in erreichbarer Nähe gab es nicht. Heute will Heike Ullrich dazu beitragen, dass Mädchen und Frauen überall die Möglichkeit haben, Fußball zu spielen und auch die Bundesliga der Frauen besser vermarktet wird. Sie soll eine höhere Sichtbarkeit und Wertschätzung in der Öffentlichkeit erlangen. Manche ausländischen Ligen seien da schon weiter und zögen auch deutsche Spitzenspielerinnen an. Ullrich wünscht sich, „dass sich unsere Lizenzvereine intensiv mit dem Thema Frauenfußball auseinandersetzen, mehr und mehr Vereine das Thema strategisch unter einem Dach zusammenführen und für sich als gesellschaftspolitische Aufgabe sehen".

Den Mangel an weiblichen Führungskräften in Vereinen und Verbänden sieht auch Ullrich. Frauen sind im DFB nicht nur im Bundesverband, sondern auch in den regionalen Gremien unterrepräsentiert. Der DFB hat 2016 mit dem „Leadership Programm“ darauf reagiert. Es setzt unter anderem auf das Werkzeugt des Mentorings und hat bereits erste Früchte getragen: Es wurden seit dem fünf Teilnehmerinnen des Programms in DFB-Gremien und -Kommissionen berufen, weitere sind in den Landesverbänden aktiv. Heike Ullrich gibt sich deshalb optimistisch. Sie sei überzeugt davon, dass die Generationen Y und Z anders mit Gleichstellung und Chancengleichheit umgehen werden.

Quellen: