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„Ich will das, und ich mach das!“

Nadine Nurasyid, Head Coachin in der 1. American Football Bundesliga und Sportwissenschaftlerin

Nadine Nurasyid ist Deutschlands einziger weiblicher Head Coach in der American-Football-Bundesliga. Sport war schon immer Teil ihres Lebens. Beruflich ging sie zunächst einen anderen Weg. Wie fand Nadine zu ihrem Traumjob in der (noch) „Männerdomäne“ Football?

„Ich will das, und ich mach das!“

American Football ist in Deutschland eine noch relativ junge Sportart, die man eher mit ausgeprägter Männlichkeit verbindet: Ausgestattet mit Helmen und Rüstungen wird auf dem Spielfeld um einen Lederball gekämpft. Entsprechend rau geht es dort zu. Wie wird eine junge Frau aus München zur Cheftrainerin einer Herren-Bundesligamannschaft im American Football?

Den Anfang machte das Ballett! Nadine Nurasyid beginnt damit bereits im Alter von zweieinhalb Jahren. Schon als Kind trainiert sie an der renommierten Heinz-Bosl-Stiftung und tritt in der Münchner Oper auf. Was die kleine Nadine später einmal werden will, steht für sie fest: Primaballerina. Doch ein Umzug der Familie beendet diesen Kindertraum. Am neuen Wohnort findet Nadine eine andere Sportart, die ihr Spaß macht: Fußball. Zehn Jahre spielt sie aktiv, sie beginnt sich außerdem für Fitness zu interessieren und absolviert darin eine erste Trainerausbildung.

Nach dem Abitur denkt Nadine kurz über ein Studium der Sportwissenschaft nach, verwirft die Idee jedoch wieder. Zu unsicher erscheinen ihr die Berufsaussichten in dieser „brotlosen Kunst“, wie sie das Fach nennt. Stattdessen möchte sie Biologie-Lehrerin werden. Zu unterrichten, das kann sie sich gut vorstellen, und ihre Familie wollte immer, „dass ich was Ordentliches mache“. Weil ihre Abiturnote nicht für einen Studienplatz reicht, macht Nadine erst einmal eine Ausbildung zur Biologielaborantin, bevor sie Biologie und Chemie auf Lehramt studiert.

Der Sport spielt nach wie vor eine zentrale Rolle in Nadines Leben, und so ganz abgehakt, wie sie dachte, ist die Sportwissenschaft nicht. Das Thema lässt sie nie ganz los. Nach dem Bachelor trifft Nadine eine Entscheidung. Sie lässt ihr Referendariat sausen. „Mein Leben wäre so vorgezeichnet gewesen“, sagt sie. „Das, was mir eigentlich hätte Sicherheit geben sollen, hat mir Angst gemacht,  – Angst, immer das Gleiche zu machen.“ Nadine wendet sich ihrem Herzensfach zu. Mit Health Sciences und Sports and Exercice Sciences absolviert sie gleich zwei sportwissenschaftliche Masterstudiengänge. In dieser Zeit entdeckt sie über ihren Freund American Football.

Nadine begleitet ihn hin und wieder zu Spielen oder zum Training. Die „Ladies“ des Klubs geben sich bald sehr viel Mühe, Nadine als Spielerin zu gewinnen. Erst kann sie sich das gar nicht vorstellen. Sie ist damals 27, zu alt für einen so intensiven Sport, findet sie. Es dauert mehrere Monate, bis die fitnessbegeisterte Nadine und der American Football zusammenfinden, dann aber richtig: Bald spielt sie auf Top-Niveau, unter anderem bei der Deutschen Meisterschaft und in der Frauen-Nationalmannschaft.

Hauptberuflich arbeitet Nadine Nurasyid mittlerweile als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Hochschule Deggendorf und später an der Technischen Universität München. Als der Football-Drittligist Straubing Spiders 2016 einen Trainer sucht, greift sie zu. Noch ist es „nur“ ein Ehrenamt, aber der erste Schritt in der Trainerinnenkarriere ist getan.

Schach auf dem Rasen

„Football ist wie Schach auf dem Rasen“, schwärmt Nadine. Ihre Begeisterung für das manchmal mehrere Stunden dauernde Spiel wird spürbar. „Was mich so unfassbar reizt, ist die Komplexität des Sports. Jede Position ist hoch spezialisiert, die Anforderungen sind unbeschreiblich.“ Im Football gehe es nicht darum Tore zu schießen, sondern Räume zu gewinnen. Die Coaches geben dafür bestimmte Spielzüge vor, die einiges an Analyse der gegnerischen Mannschaft und auch des gegnerischen Coaches erforderten. Tatsächlich ist es ein bisschen so, als wenn zwei Coaches gegeneinander Schach mit Menschen auf dem Rasen spielen. „Es gibt so viele Einflussmöglichkeiten, auf jeder Ebene“, sagt Nadine begeistert.

In der Zeit als Trainerin in Straubing reift ihre Entscheidung, sich als Sportwissenschaftlerin selbstständig zu machen und als Coachin zu arbeiten. „Ich habe mir gesagt, ich will das und ich mach das jetzt“, sagt Nadine, „auch wenn man damit nicht reich wird.“ Mit ihrer Entscheidung verbindet sie ihre Liebe zum Football mit ihrer Freude daran, anderen etwas beizubringen und ihre Leistungen zu verbessern – eine für sie ideale Kombination.

Nadine erwirbt Trainingslizenzen, nimmt an sogenannten „Coach Conventions“, Tagungen für Football-Trainerinnen und -Trainer, teil und nutzt die Corona-Zeit, um sich online fortzubilden. Zum Teil sind das Veranstaltungen in den USA, zu denen sie sonst niemals so einfach Zugang erhalten hätte. Eine festgelegte Ausbildung wie zum Beispiel im Fußball gibt es für angehende Football-Trainerinnen und -Trainer bisher nicht.

2019 wechselt Nadine als Trainerin zu den Munich Cowboys und coacht die Herren in der Abwehr. Zusätzlich übernimmt sie im Vorstand Verantwortung als Sportliche Leitung. Als der damalige Cheftrainer den Verein mitten in der Saison 2021 verlässt, springt übergangsweise einer der anderen Trainer ein. Doch warum sollte sie – Nadine Nurasyid – nicht Head Coachin werden? Es war die Mannschaft selbst, die sich bei der Vereinsführung für sie einsetzte. „Da musste ich dann aus meiner Comfort Zone steppen“, so Nadine, „ich war zuerst selber noch nicht überzeugt, ob ich das will.“ Schnell lässt Nadine die Zweifel hinter sich und will diese Chance unbedingt nutzen.

Es folgt ein Überzeugungsmarathon beim Vorstand, der sich einen erfahrenen Amerikaner als Head Coach vorstellt, keine junge und unerfahrene Frau. „Auch der Vorstand musste richtig aus seiner Komfortzone raus“, lacht Nadine. „Das war gar nicht selbstverständlich, ich coache ja erst seit 2016.“ Sie weist immer wieder auf ihre Erfolge hin, auf das, was sie für den Verein bereits geleistet hat, und schafft es schließlich. „Diesen Rückhalt der Mannschaft zu haben, das ist das Beste, was mir bisher im Football passiert ist“, freut sie sich.

Klischees gibt es mehr „in der restlichen Welt“

Rollenklischees sind Nadine im Football eher wenig aufgefallen. In dem Sport gebe es generell ein gewisses Dominanzverhalten, das sich jedoch auf Männer genauso beziehe. Man brauche eine dicke Haut. Trotzdem: „Als ich angefangen habe, war ich die einzige Frau im Raum, und es gab da auch schon so Sätze wie: 'Wir sind harte Männer, es ist ein harter Sport, wie soll eine Frau das verstehen?'“.

„Der Sport kommt ja eigentlich aus kriegerischen Zeiten“, erklärt die 36-jährige Münchnerin, warum der Football so kampfbetont ist. Aber: „Football ist in Deutschland noch ein relativ neuer Sport und sehr tolerant. Wir haben die traditionellen Strukturen nicht, wie es sie in Amerika gibt, oder wie wir sie in Deutschland im Fußball kennen, die es den Frauen schwer machen. Wir schaffen uns unsere Strukturen ja gerade selbst, und da kommen automatisch mehr Frauen und Menschen mit ganz unterschiedlichen Backgrounds vor.“

So richtig krass sind ihr Rollenklischees allerdings erst begegnet, als sie Head Coachin der Munich Cowboys wurde, verschiedenen Medien Interviews gab und immer wieder auf ihre Rolle als Frau in einem extrem mit Männlichkeitsklischees behafteten Sport angesprochen wurde. Besonders negativ ist ihr ein Interview mit einem TV-Sender in Erinnerung geblieben, in dem es mehr um Styling ging als um den Sport. „Diesen weiblichen Klischeebildern bin ich im Football selbst deutlich weniger begegnet als in der restlichen Welt“, bemerkt Nadine.

Was sie jungen Menschen, die eine Karriere als Trainerin oder Trainer im Football anstreben, rät? Es einfach auszuprobieren und vor allem den Mut zu haben, viele Fragen zu stellen. Hilfreich sei es auch, einen Mentor oder eine Mentorin zu finden, der oder die Tipps gibt und zuhört, wenn es mal schwierig wird. Ein Studium der Sportwissenschaft sei nicht unbedingt notwendig, viel wichtiger sei es, Menschen führen und begeistern zu können. „Man muss den Sport verstehen“, gibt Nadine die Grundvoraussetzung wieder. Sie ist überzeugt: „Wenn man das tut, was man liebt und was man möchte, kann man das immer lernen.“