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21.10.2025

„Ohne die Männer geht es nicht“

Wie die Polizeidirektion Hannover Gleichberechtigung zu einem Teil ihrer gelebten Kultur machen will

Mehr Frauen in Führungspositionen bringen und eine attraktive Arbeitgeberin für alle Geschlechter sein – diese Ziele setzt sich die Polizeidirektion Hannover. Dafür braucht es nicht nur Gestaltungswillen, sondern auch eine Menge kreativer Ideen und den Rückhalt der Leitung.

„Ohne die Männer geht es nicht“
Die Gleichstellungsbeauftragten der Polizeidirektion Hannover, Simone Kellner (links) und Anette Wolf (rechts)

Einen Termin mit Anette Wolf zu finden, ist nicht leicht. Die Polizeihauptkommissarin ist Gleichstellungsbeauftragte in der Polizeidirektion Hannover und viel beschäftigt. Das ist keine Überraschung, denn das Ziel von Wolf und ihrer Kollegin Simone Kellner ist nichts Geringeres als die Veränderung der Behördenkultur. Wolf und Kellner wollen, dass mehr Frauen Führungspositionen einnehmen, „ohne sich verbiegen zu müssen“, wie Anette Wolf sagt. Nicht das Geschlecht, sondern Qualifikation und Engagement sollen über Karrierewege entscheiden. Bisher stehen traditionelle Rollenbilder und strukturelle Hürden noch viel zu häufig im Weg. Gleichzeitig sollen auch Männer selbstverständlich Sorgearbeit und Beruf verbinden können – nicht ganz leicht angesichts von Schichtdienst und traditionellen Geschlechterklischees.

Die beiden Gleichstellungsbeauftragten setzten von Anfang an auf Kommunikation und Vernetzung, um das Bewusstsein für Ungleichheiten und schlechte Strukturen zu schärfen. Viele der Angebote richten sich explizit an die Männer in der Polizeidirektion, einige an Führungskräfte und andere nur an Frauen.

Die Ausgangslage

An der Polizeiakademie Niedersachsen machten Frauen im Jahr 2024 knapp die Hälfte der neuen Studierenden aus. Laut Statistischem Bundesamt ist Niedersachsen das Bundesland mit dem höchsten Frauenanteil im Polizeidienst (ca. 35 Prozent). In der Polizeidirektion Hannover sind in den Besoldungsgruppen A9 und A10 etwa die Hälfte der Mitarbeitenden Frauen. Doch im weiteren Karriereverlauf „verschwinden“ die Frauen. In den Besoldungsgruppen A 12 und A 13 machen sie nur noch 20 Prozent aus. „Besonders der Sprung von A11 nach A12 ist schwierig“, sagt Anette Wolf. „Das liegt am Schichtdienst, die Kolleginnen wechseln eher in den ermittelnden Bereich, der jedoch weniger Aufstiegschancen bietet. Auch Teilzeitarbeit ist hier ein Karrierehemmnis. Hinzu kommt, dass für den Schritt auf die A11 eine gute Bewertung des oder der Vorgesetzten notwendig ist, und da kommen traditionelle Rollenbilder hinzu“, analysiert Wolf. „Die Vorgesetzten sind Gatekeeper, und zu oft bleibt das Tor für Frauen geschlossen.“

Die Vorgesetzten sind Gatekeeper, und zu oft bleibt das Tor für Frauen geschlossen.

Anette Wolf

Podcast
Der Podcast ist auf den bekannten Plattformen zu finden.

Die Maßnahmen

Anette Wolf und Simone Kellner war von Anfang an klar: „Ohne die Männer geht es nicht.“ Gleich die erste Maßnahme stellte deshalb männliche Führungskräfte in den Fokus, die in Teilzeit arbeiten und zu Hause Sorgearbeit übernehmen. Die Videoreihe „Führen mit Familie“ portraitiert diese Kollegen und macht sie als Role-Models sichtbar.

Als nächstes erarbeiteten die Gleichstellungsbeauftragten konkrete Vorschläge, wie eine Teilzeit-Führungsrolle gut ausgestaltet werden könnte. Bestimmte Aufgaben können aus der Sicht beider Gleichstellungsbeauftragten abgegeben werden. „Das lässt sich organisieren“, ist sich Anette Wolf sicher. Beide Frauen verfügen selbst über Führungserfahrung und konnten deshalb denjenigen Kollegen (und Kolleginnen) begegnen, die Führen in Teilzeit für nicht möglich hielten. Aus dem Projekt entstand ein animiertes Video mit praktischen Tipps.

Um die Kommunikation rund um Gleichstellungsthemen zu verbessern, initiierten Anette Wolf und Simone Kellner das digitale Austauschformat „Let’s talk about“. Die Reihe widmete sich Themen wie Führen in Teilzeit, der Vorbereitung auf Auswahlverfahren oder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In der Spitze nahmen rund 100 Kolleginnen und Kollegen an diesen Formaten teil – ein Erfolg, der Anette Wolf auf die Idee brachte, daraus einen Podcast zu machen. Die einzelnen Folgen der Podcastreihe „Let’s talk about“ sind auf den gängigen Podcast-Plattformen abrufbar.

Zu den Maßnahmen speziell für Männer aller Hierarchieebenen gehörte ein „Männerinformationstag“. Dafür konnten Anette Wolf und Simone Kellner Dr. Marc Gärtner vom Bundesforum Männer e.V. gewinnen. Es ging um Männergesundheit, aber auch zum Beispiel um toxische Männlichkeit. 2026 soll es wieder einen solchen Informationstag geben.

„Wir haben auf der einen Seite das Ziel, die Männer mitzunehmen, sie zu informieren und ihre Vorbehalte zu nehmen. Auf der anderen Seite wollen wir die Frauen besser vernetzten und unterstützen“, erklärt Anette Wolf. „Wir haben festgestellt, dass sich Kolleginnen eher als Konkurrentinnen wahrnehmen, während Männer sich gegenseitig in Führungspositionen heben.“ Um das zu ändern, rief das Gleichstellungsteam ein Netzwerktreffen für Frauen der Besoldungsgruppe A12 und A 13 ins Leben. Die Netzwerkidee ging auf: Aus dem Treffen ging ein regelmäßiger Frauen-Stammtisch hervor. „Die Solidarität unter den Frauen hat zugenommen“, ist sich Anette Wolf sicher.

Das Format „Meet & Lead“ richtet sich an Frauen auf der Stufe A10: Kolleginnen auf höheren Hierarchieebenen beraten jüngere Kolleginnen unabhängig vom Dienstweg. Mit diesem niedrigschwelligen Mentoring-Angebot erreichen Anette Wolf und Simone Kellner gleich mehrere Ziele: Vorbilder werden sichtbar und vor allem nahbar, jüngere Kolleginnen profitieren direkt von den Erfahrungen der älteren, Netzwerke entstehen.

Wir haben auf der einen Seite das Ziel, die Männer mitzunehmen, sie zu informieren und ihre Vorbehalte zu nehmen. Auf der anderen Seite wollen wir die Frauen besser vernetzten und unterstützen.

Anette Wolf

Mach es sichtbar
Ideenschmiede: Simone Kellner und Anette Wolf werben für die von Ihnen konzipierte Ausstellung „Mach es sichtbar“.

Kunstprojekt macht Dunkelfeld sichtbar

Eine ganz besondere Idee führte zu der Kunstausstellung „Mach es sichtbar“, die heute als Wanderausstellung ausgeliehen werden kann. Sie thematisiert sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und ihre Folgen für die Betroffenen. Die Kunstwerke wurden von Mitarbeitenden der Polizeidirektion Hannover und benachbarter Behörden erschaffen. Wie kam es dazu?

„Wir haben einen Fachtag für die Führungskräfte zum Thema, Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz‘ durchgeführt“, erklärt Anette Wolf. „Im Vorfeld haben wir die Kolleginnen und Kollegen aufgerufen, sich künstlerisch mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es war total unklar, ob überhaupt etwas eingereicht würde, aber nach mehreren Monaten hatten wir diese tollen und zum Teil sehr berührenden Exponate im Büro“, freut sich Wolf. An dem Fachtag stellte zudem ein Kollege die Ergebnisse seiner Masterarbeit zum Thema „Sexuelle Belästigung“ vor, konkrete Fälle wurden besprochen. „Seit dieser Tagung werden mehr Fälle angezeigt, wir konnten also ein Dunkelfeld in der eigenen Behörde erhellen“, so Anette Wolf.

Wie gelingt das alles?

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Gelingen eines solchen Prozesses ist die Rückendeckung durch die Behördenleitung. Polizeipräsidentin Gwendolin von der Osten unterstützt die Maßnahmen. „Gleichstellung gehört zu einer Demokratie, und Demokratie und Gerechtigkeit sind unserer Präsidentin sehr wichtig“, betont Anette Wolf.

Hinzu kommt das Engagement mehrerer Kolleginnen und Kollegen, denn alleine könnten Anette Wolf und Simone Kellner das alles kaum stemmen. „Budget für externe Dienstleister haben wir leider nicht“, sagt Anette Wolf. „Ein Kollege erstellt uns zum Beispiel in seiner Freizeit die Videos. Die Ideen haben wir aus unserer langjährigen Erfahrung im Polizeidienst und als Führungskräfte mitgebracht.“

Doch es gibt auch Gegenwind, der habe sogar zugenommen. „Wir sind als Frauen laut geworden und wollen Dinge ändern. Das gefällt nicht jedem“, so Wolf. „Bei den Männern spiele auch Angst mit, zum Beispiel davor, dass sich die Gleichstellung negativ auf ihre Karriereoptionen auswirkt.

Wie geht es weiter?

Gemeinsam mit einer Kollegin aus dem Beurteilungswesen haben die Gleichstellungsbeauftragten ein Controlling aufgebaut und Schwerpunkte für künftige Maßnahmen herausgefunden. Denn abgeschlossen ist der Prozess noch lange nicht.