29.10.2025
Steuerfreistellung von Überstundenzuschlägen könnte traditionelle Rollenverteilung begünstigen
Die Bundesregierung beabsichtigt, Maßnahmen zur Verlängerung der Erwerbsarbeitszeit umzusetzen. Eine aktuelle Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt, dass die Pläne geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt verstärken könnten.
Die Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) kommt zu folgendem Fazit:
„Die Abschaffung der täglichen zugunsten einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit wird je nach Gruppe unterschiedlich bewertet. Männer sind eher bereit, an einzelnen Tagen zehn Stunden oder mehr zu arbeiten. Sie gehen außerdem eher davon aus, dass der Arbeitgeber dies von ihnen erwarten würde. Das Reformvorhaben könnte damit die Doppelbelastung erwerbstätiger Frauen verstärken, da sie aufgrund längerer Arbeitszeiten ihrer Partner mehr unbezahlte Haus- und Sorgearbeit übernehmen müssten.
Führt das Reformvorhaben zu einer Normalisierung langer Arbeitstage, könnte dies zudem indirekt die Chancen von Frauen mit Kindern auf dem Arbeitsmarkt verringern: Sie könnten als weniger flexibel gelten, wenn sie die Erwartungen von Arbeitgebern an Arbeitszeit und Erreichbarkeit aufgrund von Sorgepflichten nicht erfüllen können. Das kann vor allem in Branchen und Berufen der Fall sein, in denen zum einen die Anforderungen an die Arbeitszeiten ohnehin hoch sind und zum anderen Frauen unterrepräsentiert sind. So zeigt Sena Coskun in einem aktuellen Beitrag im IAB-Forum, dass Frauen und vor allem Mütter in typischen Männerdomänen wenig vertreten sind, weil die in diesen Branchen geforderte Flexibilität ihren Präferenzen entgegensteht. Dass dadurch auch ein Teil des Gender-Pay-Gaps erklärt wird, stellen Benjamin Lochner und Christian Merkl in einer aktuellen Studie fest.
Von steuerfreien Überstundenzuschlägen können aktuell Männer viermal so oft wie Frauen profitieren. Dies legt nahe, dass infolgedessen vor allem Männer ihre Arbeitszeit weiter ausweiten würden – mit den oben beschriebenen negativen Folgen für die Partnerinnen.
Wenn Geschlechterunterschiede verstärkt werden, läuft das nicht nur dem Ziel der Gleichstellung entgegen. Darüber hinaus würden Fachkräftepotenziale berufstätiger Mütter möglicherweise weniger gut genutzt, da sich die Sorgearbeit in Partnerschaften noch weiter hin zu ihnen verlagern könnte.
Dem soll auf der anderen Seite die Förderung der Ausweitung von Teilzeit entgegenwirken. Bereits heute möchten viele Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeit erhöhen. Mit der Aussicht auf eine einmalige Prämie für die dauerhafte Stundenaufstockung wäre dieser Anteil noch höher, was grundsätzlich den Erwerbsumfang von Frauen steigern könnte.
Ergänzend zu der vorgeschlagenen Prämie wären Rahmenbedingungen wichtig, die Frauen in ihrer Erwerbstätigkeit unterstützen und in Paarhaushalten Anreize für eine partnerschaftliche Aufgabenteilung im Privat- und Erwerbsleben setzen.
Denkbar wäre eine besonders starke steuerliche Förderung von Prämien für die Ausweitung der Arbeitszeit bei Überschreitung der Minijobgrenze, wie Simon Jäger und Enzo Weber in einem SPIEGEL-Gastbeitrag vorgeschlagen haben. Dass finanzielle Anreize das Beschäftigungspotenzial bei Frauen erhöhen können, ist gerade auch im Hinblick auf Reformvorschläge zum Ehegattensplitting ein wichtiger Befund. Denn aufgrund institutioneller Regelungen wie Ehegattensplitting oder Minijobs für Zweitverdienende lohnt sich Mehrarbeit bislang häufig nicht.“
Quelle: Weik, Jonas Aljoscha; Weber, Enzo; Wanger, Susanne; Lott, Yvonne (2025): Mehr Arbeit, weniger Gleichheit? Bei den geplanten Steuervergünstigungen stellen sich gleichstellungspolitische Fragen, In: IAB-Forum 24. Oktober 2025, https://iab-forum.de/mehr-arbeit-weniger-gleichheit-bei-den-geplanten-steuerverguenstigungen-stellen-sich-gleichstellungspolitische-fragen/, Abrufdatum: 28. October 2025 (CC BY-SA 4.0)