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„Menschen müssen uns sehen“

Vorurteile sind wie ein Hintergrundrauschen, das einem ständig einflüstert, wer man doch ist oder sein sollte, meint Tischlermeisterin Johanna Röh, die sich aktiv gegen Geschlechterklischees im Berufsleben einsetzt.

„Menschen müssen uns sehen“

Frau Röh, könnten Sie sich und Ihre Tischlerei bitte kurz vorstellen?

Ich bin Tischlermeisterin und Restauratorin im Tischlerhandwerk. Nach meiner 4-jährigen Wanderschaft als Tischlergesellin und des Besuchs der Meisterschule bin ich seit 2016 mit einer kleinen Tischlerei in der Nähe von Osnabrück selbstständig.

Wir arbeiten in der Restaurierung und fertigen individuelle Massivholzmöbel. Wir – das sind immer eine Person in Ausbildung, wechselnde PraktikantInnen, GesellInnen und andere Selbstständige in Kooperation je nachdem, was gerade anfällt. Nachhaltiges, gesundheitsverträgliches Arbeiten ist für uns von zentraler Bedeutung, genauso wie das offene System, dass Einblicke in unsere Arbeitsweise ermöglicht und anderen Leuten aus dem Berufsfeld eine Möglichkeit bietet, die Infrastruktur und das Wissen für die Verwirklichung der eigenen Projekte zu nutzen.

Was hat Sie motiviert, der Initiative Klischeefrei beizutreten?

Ich glaube, dass eine Entfaltung der Persönlichkeit am besten möglich ist, wenn andere und sie/er/ich selbst, sich nicht mit Vorverurteilungen im Weg steht. Vorurteile aufgrund von stereotypischen Rollenbildern haben immer noch einen großen Einfluss auf das Selbstbild und Selbstwertgefühl vor allem junger Menschen.

Vorurteile sind wie ein Hintergrundrauschen, dass einem ständig einflüstert, wer man doch ist oder sein sollte, was man doch eigentlich kann oder nicht kann, was einen interessiert oder nicht interessiert, was man mag oder nicht mag, wie man gemocht oder eben nicht gemocht wird. Das Resultat dieser Stimmen von außen ist, dass man seine eigene Stimme nicht mehr hört, dass man sich selbst schlechter erfahren kann.

Ich finde, dass wir dieses Hintergrundrauschen in der Gesellschaft aktiv abschalten müssen, um eine freie Entfaltung unseres Potenzials zu ermöglichen. Das geht nur bewusst, im Austausch und proaktiv. Dafür ist auch die Initiative Klischeefrei sinnvoll und notwendig.

Und wenn ich an mich selbst und die jetzige Situation denke: Ich glaube, je mehr Kolleginnen wir neben den Kollegen im Handwerk sind, je normaler das Bild einer Handwerkerin, je gemischter die Teams, desto entspannter das Arbeiten als normale Handwerkerin und nicht das-ist-jetzt-aber-ne-Frau-nee-kann-ja-doch-ne-Frau-Handwerkerin. Dafür kann ich mich doch nur einsetzen wollen!

Auf welche Weise setzen Sie sich für eine geschlechtersensible Berufs- und Studienorientierung ein?

Ich bin auf verschiedene Weise aktiv. Mir ist es im ersten Schritt wichtig in der Tischlerei ein Betriebsklima zu schaffen, in dem jede Person gleich ernst genommen und gesehen wird. Wichtig ist es, dass jede und jeder sich selbst gut einbringen kann, Stärken erkunden kann und Schwächen eingestehen darf. Dafür biete ich auch regelmäßig Praktika an, die einen Einblick in das Leben und Arbeiten als Tischlerin ermöglichen. Ich möchte dabei eine Atmosphäre schaffen, in der vor allem Mädchen das Gefühl entwickeln können, dass die Werkstatt der Raum ist, in dem sie sich wohl fühlen und entfalten dürfen.

Regelmäßig leite ich auch Kurse für SchülerInnen im Rahmen eines Schulprojekts an einer Handwerksakademie, das den Kindern Einblicke in verschiedene Berufe ermöglichen soll. Junge Mädchen möchte ich dabei besonders dazu anregen, frei von Klischees zu überlegen, ob das Handwerk eine Arbeit wäre, die Ihnen beruflich Spaß macht. Gleichzeitig biete ich in kleinem Rahmen Vorträge über meine Erfahrungen auf meiner Wanderschaft und als Handwerkerin an. Ältere Leute möchte ich dabei zum Nachdenken und Reflektieren anregen, wie klischee-neutral sie das Thema Berufswahl im Austausch mit Ihren Kindern und Jugendlichen besprechen und reflektieren.

Und was ich auch noch mache, es klingt ganz banal: Ich gehe ganz bewusst in meiner Arbeitskleidung in die Öffentlichkeit. Sei es zum Beispiel beim Einkaufen. Menschen müssen uns sehen! Und wenn dann eine Tochter ihre Mutter fragt, warum ich die gleiche Hose anhabe wie der Papa, ist für mich schon was gewonnen, weil ein Gespräch entsteht und das Mädchen sich überlegen kann, was das jetzt genau bedeuten kann: Handwerkerin sein ...

Welche Erfolge oder Erfahrungen haben Sie bisher mit Ihrer Arbeit erreicht?

Das Handwerk ist ja in vielen Bereichen noch sehr klischee-behaftet. Merkwürdigerweise wird Frauen zugetraut einen Menschen zu pflegen, waschen, anziehen – körperlich schwere Arbeit den ganzen Tag. Aber im Handwerk sollen Frauen plötzlich zu schwach sein, obwohl das schwer heben nicht unbedingt einen Großteil der Tätigkeiten umfasst ...

Interessanterweise gibt es verschiedene Stereotype in verschiedenen Ländern. Zumindest habe ich das bei meiner Wanderschaft so beobachtet. In Kanada sollen Frauen auch zu schwach sein – aber sie sind in der Lage, genug technisches Verständnis fürs Handwerk mitzubringen. In Neuseeland war das genau anders herum. Das hat für mich jede Vorverurteilung relativiert. Ich habe ein Jahr lang in Kanada in verschiedenen Betrieben gearbeitet, danach einige Monate lang in Neuseeland. Anschließend war ich ein Jahr lang bei einem Sensei in Japan. Die Vorurteile, die Frauen (und Männern) begegnen, fand ich überall unterschiedlich. Und am wohlsten habe ich mich immer dann gefühlt, wenn es einfach keine gab und ich einfach in Ruhe meine Arbeit machen konnte.

Denn ich habe gemerkt, dass sich diese Vorurteile auf mich ausgewirkt haben. Wenn man sich erst bei einer bestimmten Arbeit beweisen muss, verliert man unglaublich viel Energie und Freude bei genau dieser Tätigkeit. Zumindest ging mir das in den Situationen so. Gleichzeitig war es so spannend zu beobachten, dass diese „Störfelder“ immer andere waren und damit war für mich klar zu sehen, dass ich nicht grundsätzlich selbst das Problem bin, sondern die Sichtweise und Bewertung der Person gegenüber, auf die ich, als sozialer Mensch, reagiere.

Ich versuche meine Erfahrungen jetzt so gut es geht weiter zu geben und als Erfolg werte ich schon, wenn ich andere Inspirieren kann, für sich den eigenen Weg zu finden, frei von Zuschreibungen von außen.