31.03.2021
„Geschlechtsspezifische Rollenklischees haben in der heutigen Zeit nichts mehr verloren“
Die Handwerkskammer Reutlingen vertritt die Interessen von über 13.000 Mitgliedsunternehmen und ist seit März 2021 Partnerorganisation der Initiative Klischeefrei. Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Eisert erzählt, welche Ideen die HWK Reutlingen für eine geschlechtsneutrale Berufsorientierung hat.
Herr Dr. Eisert, können Sie die HWK Reutlingen bitte vorstellen?
In einer Zeit, in der sich das alltägliche Erscheinungsbild des Wirtschaftszweiges Handwerk ändert und sich das Anforderungsprofil an die Beschäftigten in Theorie und Paxis immer rascher wandelt gehört es zu den essenziellen Aufgaben einer modernen Handwerksorganisation, diese Entwicklungen rasch zu erkennen, geeignete Hilfestellungen zu entwickeln und Betrieben mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Die Handwerkskammer Reutlingen vertritt die Interessen von über 13.000 Mitgliedsunternehmen und deren fast 80.000 Beschäftigten, darunter 4.000 Auszubildende in den Landkreisen Freudenstadt, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen und Zollernalb. Sie steht dabei in engem Kontakt mit Bund, Ländern und Kommunen, Wissenschaft und Forschung sowie anderen Wirtschaftsorganisationen und Verbänden, Medien und Gewerkschaften.
All diese Kontakte fließen in die tägliche Arbeit für das Handwerk ein – dazu gehört ein kostenloses Dienstleistungsangebot für Existenzgründer ebenso wie die umfassende Beratung der Betriebe zu Themen wie Betriebsführung, Personalmanagement und Rechtsfragen, Digitalisierung, Nachhaltigkeit sowie Aus- und Weiterbildung.
Was hat Sie motiviert, der Initiative Klischeefrei beizutreten?
Mädchen und Jungen sollten bei der Berufsfindung frei von allen Vorurteilen gefördert werden. Dabei ist es ganz egal, ob Mädchen sich für gewerblich-technische, also eher männerdominierte Berufe interessieren oder Jungen eine Affinität zu den Berufen aus den Bereichen Gesundheit/Pflege oder Dienstleistung hegen. Geschlechtsspezifische Rollenklischees haben in der heutigen Zeit nichts mehr verloren, es zählen einzig und allein die Persönlichkeit und das Können der jungen Menschen.
Auf welche Weise setzen Sie sich für eine geschlechtsneutrale Berufs- und Studienorientierung ein?
Bisher ist nur rund ein Viertel der Fach- und Frühungskräfte im Handwerk weiblich – es müssen noch mehr werden. Noch immer wählen viele Frauen traditionell kreative Berufe wie Friseur*in, Raumausstatter*in, Goldschmied*in, Buchbinder*in oder Maler*in. Dass zum Beispiel das Beschäftigungsverbot von Frauen im Bauhauptgewerbe seit 27 Jahren abgeschafft ist, scheint sich nocht nicht überall herumgesprochen zu haben. Aber auch in anderen Handwerksberufen sind Frauen längst keine Seltenheit mehr und werden gerne als Arbeitskraft eingestellt. Sie werden aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels auch immer dringender gebraucht.
Es gibt sogar Förderprogramme für weibliche Auszubildende in mit Frauen gering besetzten Ausbildungsberufen. Aber auch Männer in frauentypischen Berufen wie Verkäufer*in im Lebensmittelhandwerk oder solchen, die das zwischenzeitlich geworden sind, wie Friseur*in oder Schneider*in, sollten selbstverständlich sein.
Das Handwerk ist tolerant und wir unterstützen junge Menschen, die eine Ausbildung im Handwerk beginnen wollen, das zu tun, was ihnen liegt, nicht das zu tun, von dem sie annehmen, dass ihre Mitmenschen sie gerne darin sehen. Denn nur wenn wir junge Menschen klischeefrei fördern, gewinnen wir die Fachkräfte von morgen.