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06.11.2017

„Es braucht ein Bewusstsein, wie sehr Kinder im Alltag beeinflusst sind“

Almut Schnerring und Sascha Verlan (Die Rosa-Hellblau-Falle) setzen sich mit mehreren Projekten dafür ein, einer breiteren Öffentlichkeit bewusst zu machen, wie sehr die Reproduktion von Rollenklischees die Entscheidungsfreiheit von Kindern und Erwachsenen einschränkt.

Almut Schnerring, Sascha Verlan

Frau Schnerring, Herr Verlan, stellen Sie sich und Ihre Organisation bitte kurz vor.

Wir setzen uns für eine Kindheit ohne Rollenklischees ein, indem wir Fortbildungen und Vorträge für alle Zielgruppen zu Themen rund um Geschlechterklischees und die „Rosa-Hellblau-Falle“ anbieten. Wir sind in Verlagen, Schulen, Kitas und Unternehmen unterwegs, informieren in Workshops, Blogs und Medienberichten über die sozial-psychologischen Hintergründe und zeigen, wie sehr Gendermarketing und die zunehmende Trennung der Geschlechter dafür sorgen, dass Kinder in ihren Grundrechten einschränkt werden, nämlich ihre Persönlichkeiten frei entfalten zu können.

Ausgehend von unserem Buch „Rosa-Hellblau-Falle“ ziehen wir eine Verbindung zwischen den Rollenanforderungen an Kinder und den zentralen Herausforderungen der Gleichstellungspolitik in der Erwachsenenwelt. Die grundlegenden Muster werden bereits in der Kindheit angelegt; so bekommen Söhne im Durchschnitt mehr Taschengeld als Töchter (Pay Gap), die wiederum müssen im Haushalt selbstverständlicher und mehr mithelfen, insbesondere wenn es um die Betreuung von jüngeren Geschwistern geht (Care Gap). Alltagssexismus und Geschlechterhierarchien sind schon in der Kinderwelt präsent, und trotzdem werden die Belange und Bedürfnisse von Kindern nur selten in den Diskussionen um Geschlechtergerechtigkeit mit bedacht.

Was hat Sie motiviert, sich in der Initiative Klischeefrei zu engagieren?

In unserer Arbeit geht es oft darum, Missstände anzusprechen und zu kritisieren. Ebenso wichtig ist es aber, selbst Impulse zu setzen und auf positive Initiativen aufmerksam zu machen. Deshalb nutzen wir im Internet auch den Hashtag #klischeefrei und sind darüber auf die Initiative Klischeefrei gestoßen. Da sich unsere Ziele, unsere Anliegen in so vielen Bereichen decken, war es klar und folgerichtig, dass wir uns hier mit engagieren!

Auf welche Weise setzt Sie sich für eine geschlechtersensible Berufs- und Studienorientierung ein?

Die Mehrheit der Erwachsenen ist ja überzeugt, Kinder „gleich“ zu behandeln, ohne sich so ganz bewusst zu sein, was damit überhaupt gemeint sein könnte. Tatsächlich ist eine Gleichbehandlung weder möglich noch sinnvoll, was es braucht, ist vielmehr ein Bewusstsein, wie sehr Kinder im Alltag beeinflusst sind durch Botschaften darüber, wie sich unsere Gesellschaft eine „typische“ Frau, einen „echten“ Kerl, ein „normales“ Mädchen oder einen „richtigen“ Jungen vorstellt. Dabei entsprechen ja die wenigsten diesem Bild!

Weil es aber menschlich ist, „richtig“ sein zu wollen, entsteht dadurch ein immenser Druck. Kinder wollen schließlich zur Gruppe, mit der sie sich identifizieren, dazugehören, sie übernehmen die gesellschaftlichen Regeln der Erwachsenen und stellen dafür manchen Wunsch zurück, der sie als „untypisch“ abstempeln könnte. Wahlfreiheit in Bezug auf das eigene Verhalten, auf Interesse und die Berufswahl sieht aber anders aus. Deshalb machen wir uns dafür stark, dass Erwachsene einen Blick dafür entwickeln, mit welchen Rosa-Hellblau-Fallen des Alltags sie selbst aufgewachsen sind, wie unterschiedlich die Erwartungshaltung ist, die sie Mädchen bzw. Jungen entgegenbringen. Nur so wird es möglich sein, Kinder und Jugendliche auf ihren Wegen in die Berufswelt hinein individuell zu unterstützen und zu begleiten, ohne Einengung aufgrund stereotyper Zuschreibungen.

Welche Erfolge haben Sie bereits mit Ihrem Engagement erreichen können?

Der „Equal Care Day“, den wir 2016 initiiert haben, ist ein Projekt, mit dem wir andere zum Dialog einladen. Die Idee, einen wiederkehrenden Aktionstag zu etablieren, der auf die mangelnde Wertschätzung und unfaire Verteilung von Care-Arbeit aufmerksam macht, stieß auf so viel Zuspruch, so dass wir zum 29. Februar 2016 mit einem Grußwort aus dem Familienministerium und vielen Statements aus Politik, Pflege und Kultur starten konnten.

Auch der „Goldene Zaunpfahl – Negativpreis für absurdes Gendermarketing“, den wir 2017 gemeinsam mit Anke Domscheit-Berg ins Leben gerufen haben, erfährt große Aufmerksamkeit und wir bekommen viel Rückenwind für dieses Projekt, so dass wir ihn auch im nächsten Jahr wieder im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung verleihen werden. Auch hier geht es uns darum, einer breiteren Öffentlichkeit bewusst zu machen, wie sehr die Reproduktion von Rollenklischees die Entscheidungsfreiheit von Kindern und Erwachsenen einschränkt.

„Equal Care Day“ und „Der Goldene Zaunpfahl“ sind zwei Projekte, die wir bisher parallel zu unserer eigentlichen Arbeit als Autorinnen und Autoren sowie Fortbildnerinnen und Fortbildner auf die Beine gestellt haben. Damit wir diese Arbeit weitermachen können, sind wir auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Deshalb freuen wir uns natürlich über Interessierte, die uns darin unterstützen.

Wir sind mit all diesen Themen in den sozialen Netzwerken präsent, unter anderem mit dem Hashtag #RosaHellblauFalle, und laden zum Austausch darüber ein, auf unserem Blog, auf Twitter, in unserer Facebook-Gruppe. Uns geht es darum, eine kritische Masse zu erreichen, um gemeinsam die Aufmerksamkeitsschwelle zu überwinden und das Thema zu verankern in den großen Medien und im aktuellen Diskurs. Das verläuft bislang noch in Wellen, aber mit unseren bisherigen Aktionen haben wir schon einiges erreicht und viele Diskussionen anregen können.