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30.04.2024 | Christiane Helmstedt, Annette Schudy

„Die Polizei ist ein Arbeitsplatz für alle Menschen“

Leon Dietrich, transidenter Polizeioberkommissar und Landeskoordinator der Polizei Niedersachsen für LGBTIQ- und Diversitätsthemen, leistet Pionierarbeit in Sachen Vielfalt

Die Polizei, einst ein von Männern dominiertes Berufsfeld, hat in den letzten Jahrzehnten einen Wandel vollzogen, nicht zuletzt durch die steigende Anzahl von Frauen im Polizeidienst. Leon Dietrich war zu Beginn seiner Karriere eine von ihnen. Heute bringt er als Transmann frischen Wind in die Organisation und ist Wegbereiter für mehr Vielfalt bei der Polizei Niedersachsen.

„Die Polizei ist ein Arbeitsplatz für alle Menschen“

Das Thema Vielfalt wurde Leon Dietrich bereits in die Wiege gelegt. Leon wurde in Deutschland als Mädchen geboren und wuchs auf mit einer schottischen Mutter, einem türkischen Vater und Großeltern mit schottisch-deutschem sowie türkischem Hintergrund. Bereits in seinen ersten Lebensjahren spürte das Kind ein großes Unbehagen mit seinem Geschlecht. Ein Grund waren die auch noch heute vorherrschenden starren Geschlechterklischees, die definieren, was „weiblich“ und was „männlich“ ist. Kinder werden schon früh mit diesen fixen Rollenstereotypen konfrontiert, die sich im Lebenslauf verfestigen und auch auf die spätere Berufs- und Studienwahl auswirken. Leon erinnert sich: „Weiblichkeit war für mich eine Rolle, die mir zugewiesen wurde, die ich erstmal erfüllen musste.“ Doch er brach aus dieser Rolle aus, tauschte Puppen gegen Autos und Kleider gegen Hosen. „Ich entsprach damals in vielem dem Klischee eines Jungen.“

Schon früh entdeckte Leon seine Faszination für den Polizeiberuf. Als Kind spielte er gerne Polizist, zudem war er eher extrovertiert und sportlich; Leon wollte immer gerne helfen und beschützen. Als eines Tages der Cousin seiner Mutter, ein Polizist, mit dem Dienstwagen vorfuhr, war sein Berufswunsch geboren!

Berufswahlprozess mit Herausforderungen

Doch einfach war der Weg nicht. Wie für die meisten Jugendlichen ist die Zeit der Pubertät eine schwierige und oft belastende Lebensphase, in der sich lebenswichtige Fragen stellen: Wer bin ich? Wer soll ich sein? Wer möchte ich sein? Dieser Prozess kann sehr herausfordernd sein. Auch Leon stellte sich diese Fragen nach seiner Identität und welche Rolle er in der Gesellschaft einnehmen möchte – persönlich wie beruflich. Als Jugendliche hatte Leon sein Coming-out als Lesbe und trotz der großen Begeisterung für die Polizei liebäugelte er beruflich zunächst mit „typischen Frauenberufen“ wie Raumausstatterin oder Sozialarbeiterin. Hier erging es Leon wie den meisten Jugendlichen in der Phase der Berufsorientierung. Sie lassen sich bei der Berufswahl oft von Klischees leiten, anstatt sich einen Beruf zu suchen, der zu ihren Stärken und Talenten passt. In dieser sensiblen Phase des Lebens brauchen Jugendliche Unterstützung. Leon fand diese bei seiner Mutter, die ihr  Kind ermutigte, seinen ursprünglichen Berufswunsch ernst zu nehmen: „Du bist frei in dem, was du tust und wirst einmal ein toller Polizist.“

Leons Karriere bei der Polizei

Die Aufgaben und Tätigkeitsfelder der Polizei sind vielseitig. Neben der Schutz- und Kriminalpolizei gibt es unter anderem die Bereiche Kriminaltechnik, Prävention, Wasserschutz- und Verkehrspolizei, Einsatzhundertschaften, Hubschrauber-, Hunde- und Pferdestaffel sowie Spezialeinheiten  – und polizeiliche Ansprechpersonen für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queers (kurz: LSBTIQ) wie Leon Dietrich, Landeskoordinator für LSBTIQ und Diversitätsthemen bei der Polizei Niedersachsen.

Seine Karriere begann Leon nach der Ausbildung als „Polizistin“ im Streifendienst. Schließlich wurde er zur „Polizeimeisterin“ ernannt und sammelte wichtige Berufserfahrungen in Nordrhein-Westfalen. Auch hier spielten Fragen der Identität und der Wirkung nach außen eine große Rolle. Leon erkennt rückblickend: „Viele Kolleginnen und Kollegen konnten mich damals nicht wirklich greifen. Meine nicht als deutsch gelesene Optik, mein eher männlich wirkender Habitus, und das in einer Zeit, in der auch der Frauenanteil bei der Polizei noch relativ niedrig war.“ Die Polizei war lange ein „typischer Männerberuf“. Wie in vielen anderen beruflichen Männerdomänen hatten es Frauen bei der Polizei anfangs nicht leicht. Inzwischen sind Polizistinnen weitgehend akzeptiert und an Frauen in Polizeiuniform hat man sich inzwischen gewöhnt – nicht nur in TV-Serien. Trotzdem ist auch hier noch Luft nach oben – vor allem bei Frauen in Führungspositionen.

Leons Anspruch an seine Arbeit war und ist hoch. Nach vielen Jahren im Einsatz- und Streifendienst wandte er sich neuen Herausforderungen zu:  An der Polizeiakademie Niedersachsen schulte er den Nachwuchs und leitete Fortbildungsseminare in den Bereichen Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung. Seit 2018 ist er polizeiliche Ansprechperson für LSBTIQ, sowohl intern für die Mitarbeitenden in der Behörde als auch extern. Seit 2020 ist er zusätzlich Landeskoordinator für die inzwischen 16 polizeilichen Ansprechpersonen für LSBTIQ in den Polizeidirektionen Niedersachsens. Für die Polizei Hannover ist er außerdem unter anderem Beauftragter der Charta der Vielfalt.

Mehr Offenheit für LSBTIQ und Diversität innerhalb der Polizei schaffen, Führungskräfte wie Mitarbeitende an das Thema heranführen, Personalabteilung und Nachwuchsgewinnung für den Umgang mit „trans* und inter*-Personen“ sensibilisieren, Netzwerke aufbauen, Tabus und Vorurteile abbauen sowie Queerfeindlichkeit zu bekämpfen und für Bürgerinnen und Bürger in diesem Kontext sichtbar und ansprechbar zu sein, dies waren und sind bis heute die Ziele von Leon Dietrichs Arbeit.

Berufswahl und Geschlechtsidentität

Seinen Berufsweg bei der damaligen Männerdomäne beschritt Leon zunächst als offen lesbische Frau. Da sein Unbehagen mit seinem Geschlecht und der damit verbundenen Rolle auch im Erwachsenenalter blieb, bekannte er sich schließlich nicht nur in Familie und Freundeskreis, sondern auch auf der Arbeit zu seiner Transidentität, was für ihn ein weiterer wichtiger Schritt war.

Noch bis Ende 2020 konnten trans*, inter* und nicht-binäre Menschen aufgrund der Dienstvorschrift nicht für die Polizei arbeiten – zumindest nicht offiziell. Doch Talent hat kein Geschlecht. Der Frauenanteil bei der Polizei entwickelt sich seit Jahren positiv. Auch beim Thema Diversität gibt es – nicht zuletzt aufgrund der Arbeit von Menschen wie Leon – allmählich mehr Offenheit „Mehr Diversität bei der Polizei, das stärkt die Resilienz unserer Demokratie“, ist sich Leon sicher. Seine Position bei der Polizei Niedersachsen habe zunehmend an Bedeutung gewonnen. Er hat mit seiner Arbeit einen Bekanntheitsgrad über Niedersachsen hinaus erreicht. Diese – auch mediale – Sichtbarkeit schaffe Nähe und Vertrauen und sei ein wichtiger Baustein für seine Arbeit.

Die Phase der Berufsorientierung ist für Mädchen und Jungen extrem herausfordernd, weshalb sie dafür individuelle Unterstützung benötigen. Dies gilt auch für queere Jugendliche. Berufsberatenden empfiehlt Leon, sich über das Thema zu informieren und queeren Jugendlichen eine geschulte Ansprechperson zur Verfügung zu stellen. Sie brauchen Angebote, die gezielt auf ihre Bedürfnisse und Hintergründe ausgerichtet sind, und gleichermaßen fachkundige wie empathische Unterstützung auf ihrem Weg in den Beruf. Alle  am Berufswahlprozess Beteiligten (Eltern, Kitas, Schulen, Unternehmen, Jobcenter etc.) sind hier gefordert. Damit alle junge Menschen unabhängig von Klischees den Beruf finden, der zu ihnen passt.

Wie Leon. Für ihn war die Entscheidung für seinen Beruf goldrichtig; er brennt für die Polizei und würde sich immer wieder dafür entscheiden. „Jeder Mensch möchte in Sicherheit leben. Wir von der Polizei stellen sie her, wir schützen alle Menschen, sind für sie da.“ Es scheint, Leon hat seinen Traumberuf gefunden.

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