21.05.2024 | Christiane Helmstedt
Unser Grundgesetz – das Fundament der Initiative Klischeefrei
Am 23. Mai 2024 feiert Deutschland 75 Jahre Grundgesetz. Darin verankert ist – dank der vier Mütter des Grundgesetzes – die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Eine der vielen Maßnahmen zur Umsetzung der Gleichberechtigung ist die Initiative Klischeefrei. Ihr Fokus liegt auf der Berufs- und Studienwahl.
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ – diesen kurzen Satz in Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes verdanken wir Elisabeth Selbert, einer der vier Mütter des Grundgesetzes. So schlicht der Satz daherkommt, er hatte es in sich und war deshalb hart erkämpft. Die Juristin und Sozialdemokratin holte sich zunächst ihre Mitstreiterinnen Frieda Nadig, Helene Weber und Helene Wessel ins Boot. Mehrfach wurde ihr Antrag abgelehnt, bis die 61 „Väter des Grundgesetzes“ endlich einknickten, nicht zuletzt auf Druck von Zehntausenden von Frauen, die es satthatten, sich von Männern bevormunden zu lassen.
Wir brauchen Geschlechterparität – nicht nur in der Politik
Was wäre gewesen, wenn es überhaupt keine Frauen in dem Gremium gegeben hätte? Keine Selbert, Nadig, Weber und Wessel? Dieses Beispiel verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass Frauen und Männer an allen Bereichen des Lebens nicht nur teilhaben, sondern diese auch gestalten dürfen und sollten – zumal sie auch rund die Hälfte der Bevölkerung ausmachen.
Seit 1949 hat sich einiges getan, vor allem dank der zweiten Frauenbewegung. Aber eben nicht genug. Gemäß dem Gleichstellungsindex 2023 des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen, liegt Deutschland laut Statista mit 70,8 von 100 Punkten auf Rang 11 und damit nur knapp über dem EU-Durchschnitt. Das reicht nicht.
Viele Faktoren spielen eine Rolle bei der Ungleichheit von Frauen und Männern. Ein wesentlicher Faktor sind hartnäckige Geschlechterklischees. Sie wirken früh und auf alle Lebensbereiche. Ihr Einfluss zeigt sich sehr deutlich auch bei der Berufs- und Studienwahl. Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist immer noch geschlechterspezifisch aufgeteilt. Um das zu ändern, wurde 2016 die Initiative Klischeefrei ins Leben gerufen.
Leben mit Lücken
Denn wenn junge Männer und Frauen Berufe nicht nach ihren Talenten, sondern nach Klischees auswählen, dann engen sie ihre Möglichkeiten massiv ein. Dies führt zu Nachteilen auf struktureller, ökonomischer und individueller Ebene. Eine Folge ist, dass Frauen und Männer unsere Gesellschaft nicht gemeinsam gestalten und weiterentwickeln. Aktuell revolutioniert die Künstliche Intelligenz die (Arbeits-)Welt – und nur wenige Frauen sind an der Entwicklung dieser Technologie beteiligt. Das hat verheerende Folgen, denn Technologien und Algorithmen spiegeln die Einstellungen und Werte derjenigen wider, die sie entwickeln und „füttern“. Und wenn auf der anderen Seite zu wenig Männer in Sorgeverantwortung sind, fehlen auch dort ihre Kompetenzen, Ideen, Kreativität und Perspektiven.
Eine weitere Folge sind die vielen Gaps zwischen Männern und Frauen: wie der Gender Pay Gap (Einkommenslücke), der Gender Care Gap (Lücke bei der unbezahlten Sorgearbeit), der Gender Lifetime Earnings Gap (Lücke beim Lebenserwerbseinkommen) und am Ende der Gender Pension Gap (Rentenlücke).
Gesamtgesellschaftlich handeln
Um Artikel 3 des Grundgesetzes umzusetzen und mehr Chancengleichheit für Männer und Frauen zu erwirken, muss gesamtgesellschaftlich gehandelt werden. Eine klischeefreie Berufswahl für junge Menschen kann dazu beitragen, dass Kinder schon früh erfahren, dass Berufe kein Geschlecht haben, dass sie also alles werden können. Die Sorgeverantwortung sollte geteilt werden. Gesellschaft und Politik sind gefordert, hierfür entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Frauen genau die gleichen Möglichkeiten haben wie Männer, am Erwerbsleben teilzunehmen, ihre beruflichen Ziele zu verfolgen – und am Ende auch über ein anständiges Einkommen zu verfügen.
Gegen Sexismus kämpfen
Doch nicht nur eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern auch der Abbau von Sexismus allgemein sowie besonders in Berufsbereichen, in denen überwiegend Männer arbeiten (wie im Handwerk oder in der IT), trägt dazu bei, Frauen, die diese Berufe gewählt haben und ihren Job gerne machen, auch zu halten. Gleichzeitig müssen auch junge Männer bestärkt und gefördert werden, die neue Wege gehen möchten: als Grundschullehrer, Erzieher in der Kita oder Pflegekraft – oder als Vater, der (mehr als zwei Monate) Elternzeit nehmen möchte. Und: Berufe, in denen überwiegend Frauen arbeiten, müssen monetär aufgewertet werden. Dies nicht nur, um mehr Männer für diese Berufe zu gewinnen, sondern weil Frauen es einfach verdienen.
Über 620 Partnerorganisationen machen schon mit
Für all das engagiert sich die Initiative Klischeefrei mit ihren über 620 Partnerorganisationen. Sie kommen aus allen Bereichen der Gesellschaft, von der Kita bis zum Unternehmen, vom Handwerksbetrieb bis zur Hochschule. Sie alle möchten Klischees aufbrechen und die Stärken der Vielfalt nutzen. Dies ist auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sinnvoll, denn der ist vor allem in Berufen, in denen entweder Männer oder Frauen dominieren, besonders hoch, also im MINT-Bereich und in Gesundheitsberufen.
Das Engagement der Initiative Klischeefrei ist so vielfältig wie die Initiative selbst. Das Grundgesetz mit Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 bildet das Fundament unseres Tuns. 75 Jahre Grundgesetz – es lebe hoch!