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„Elternzeit ist ein Recht und kein Privileg“

Heiner Fischer, Sozialarbeiter, Berater und Blogger

Andere unterstützen und begleiten, das sind Dinge, die dem Sozialarbeiter, Berater und Blogger Heiner Fischer heute wichtig sind. Doch es dauerte Jahre, bis er sich von seiner, wie er es nennt, „strukturkonservativen“ Prägung emanzipiert hatte. Zuerst ging Heiner beruflich einen ganz anderen Weg.

„Elternzeit ist ein Recht und kein Privileg“

Heiner Fischer, 38 Jahre alt und zweifacher Vater, ist ein energiegeladener und zielstrebiger Mensch. Was er anpackt, soll gut werden. Er hat kein Problem mit Erfolg, er war in seinem ersten Beruf schon Führungskraft, wäre fast Niederlassungsleiter geworden. Doch eben nur fast. Von außen betrachtet war alles super in Heiners Leben, innerlich jedoch haderte er mit seiner Berufswahl. 

Aber von Anfang an. Heiner Fischer stammt aus dem Münsterland, sein Vater war Möbelfabrikant. Die Fischers lebten das klassische Familienbild mit dem Vater als Alleinverdiener, der viel arbeitete und wenig zu Hause war. Die Erziehung der drei Kindern und das Sich-Kümmern war die Aufgabe der Mutter.

Die Firma brachte gewisse Privilegien mit sich, aber auch ein Gefühl der Verpflichtung. Heiner Fischer standen nicht alle Berufswege offen, zumindest, wenn es nach seinem Vater ging. Dieser ließ seinen Sohn deutlich spüren, welche Berufe in der Familie akzeptiert waren (Unternehmer, Führungskraft, Bundeswehr) und welche nicht (Sozialarbeiter). Doch diese Erwartungen wollte der Sohn nicht automatisch erfüllen. Er war rebellisch und suchte seinen eigenen Weg. Ein engagierter Französisch- und Geschichtslehrer beeinflusste ihn in dieser Zeit, denn er war ganz anders als Heiners Eltern. „Er hat etwas in mir gesehen, dass ich selbst nicht gesehen habe“, sagt Heiner Fischer rückblickend. „Das hat mich sehr geprägt damals.“ So demonstrierte er in Ahaus gegen das atomare Zwischenlager und begeisterte sich früh für das offene und liberale Hamburg.

Doch nach dem Abitur überwogen die Erwartungen der Eltern. „Um ein richtiger Mann zu werden, musst du zur Bundeswehr“, war einer der Sätze, die Heiner Fischer von seinem Vater öfter gehört hatte. Und so absolvierte er zunächst seinen Wehrdienst. Er spielte sogar mit dem Gedanken, sich für einige Zeit zu verpflichten, nahm davon bald aber wieder Abstand. „Manche Regeln dort fand ich problematisch“, sagt er heute, „mir wurde dort auch bewusst, dass ich mit der ausgeprägten Hierarchie nicht zurechtkomme. Die Bundeswehr passte einfach nicht zu mir.“

Heiner entschied sich deshalb für eine Ausbildung zum Mediengestalter. Er erinnerte sich an sein Schülerpraktikum bei einer Werbeagentur, dass ihn damals sehr fasziniert hatte. Hinzu kam, dass Computer sein Hobby waren und er derjenige war, der dafür sorgte, dass die Abizeitung am PC erstellt und bei einer Druckerei gedruckt wurde. Medien- und Contentproduktion, das sollte es sein! Heiner wollte Produktioner werden, also die unterschiedlichsten Werbemittel rund um ein zu bewerbendes Produkt technisch vorbereiten und den Herstellungsprozess planen und überwachen. Er wollte ein großes Auto fahren und in einer Großstadt wie Hamburg Karriere machen. „Ich hatte damals richtig Bock darauf!“, sagt er heute.

Schon in der Ausbildung wurde Heiner gefördert. Zu seiner Freude hatte sein Arbeitgeber eine Niederlassung in Hamburg, in die er gleich nach dem Abschluss wechselte. Dort wurde er als Nachwuchsführungskraft aufgebaut. Seine Chefs hatten schon in der Ausbildung sein Talent im Umgang mit Menschen erkannt, wollten ihn als Verkäufer und Berater haben. Die Leitung der Niederlassung war seine Perspektive. Doch etwas fehlte. Heiner lebte in seiner Traumstadt, hatte eine verlockende Aufstiegsperspektive und war dennoch irgendwie unglücklich mit seiner Arbeit.

In dieser Situation passierten zwei wegweisende Ereignisse in Heiners Leben. Beruflich besuchte er eine Fortbildung für Führungskräfte zum Thema „Bauchentscheidungen treffen“. Privat tauchte ein Onkel in seinem Leben auf, der Bruder seines Vaters, den er bisher kaum kannte. Als Berufsmusiker galt dieser in der Familie als brotloser Künstler. Der Onkel lebte mit seiner Frau, ebenfalls Musikerin, und drei Kindern in Leipzig. Die Eltern teilten sich Arbeit und die Erziehung. 

Einen Tag nach dem Bauchentscheidungs-Seminar kündigte Heiner seinen Job als Nachwuchsführungskraft. Das Haus des Onkels wurde zu seiner Anlaufstelle und seinem Orientierungspunkt. Dort erlebte er eine neue Form des Familienlebens: „Ich war ganz überrascht! So kann Familie auch sein, dachte ich damals, so wertschätzend, liebevoll und unterstützend! Ganz anders, als ich das aus meinem Elternhaus kannte.“ Beruflich dachte er, ein Unternehmenswechsel würde neue Perspektiven bringen. Er bewarb sich bei einem führenden Unternehmen in der Werbeproduktionsbranche und wurde eingestellt. Doch das Gefühl, dass etwas fehlte, blieb.

Erst eine Erschöpfungsdepression brachte zweieinhalb Jahre später die Wende. Er erkannte: „Ich brenne aus, indem ich Dinge tue, die ich nicht möchte, statt die Handbremse zu lösen und es laufen zu lassen.“ Er verstand, dass ihm die Sinnhaftigkeit in seiner Arbeit fehlte, er vermisste den gesellschaftlichen Mehrwert. „Das war letztlich kein Beruf für mich“, sagt Heiner heute, „es fehlten die inneren Entwicklungsprozesse, das Menschliche. Es sollte immer nur alles für die Firma sein.“

Heiner Fischer braucht eine Auszeit. Die nutzte er, um sich auch mit Hilfe seines Onkels neu zu sortieren. Schließlich ging er mit der „Südtiroler Bergbauernhilfe“ für drei Monate auf einen Hof in den Alpen. Außerhalb seines normalen Lebens schaffte er es, seine Perspektive zu verändern. So erlangte Heiner allmählich die Freiheit, sich von seinem alten Beruf und den Prägungen und Erwartungen seines Elternhauses zu verabschieden. Sein neuer Plan stand bald fest: Er würde Soziale Arbeit studieren, eine systemische Beraterausbildung machen und als Supervisor arbeiten. Dafür wollte er sich selbstständig machen. „Ich wollte mich um Männergesundheit kümmern“, fasst Heiner seinen Plan zusammen.

Noch während seines Masters lernte Heiner Fischer seine heutige Frau kennen. Sie stammt aus ähnlich konservativen Verhältnissen wie er und wünschte sich genau wie er eine andere gleichberechtigte Form von Partnerschaft und Familie. Bald bekamen sie eine Tochter. Heiner arbeitete unterdessen bei einem Sportverband im Ruhrgebiet als Bildungsreferent und plante, für mehrere Monate in Elternzeit zu gehen. Seine Frau wollte nach sechs Monaten zurück in ihren Beruf. Doch der Sportverband gewährte ihm nur die beiden sogenannten Vätermonate. Heiner war empört: „Elternzeit ist ein Recht und kein Privileg!“ Er kündigte schließlich – und hatte sein Thema gefunden: Heiner Fischer wollte kämpfen für eine aktive Vaterschaft, Väter beraten und stärken und Unternehmen in Sachen Vereinbarkeit schulen. „Auf dem Spielplatz sind keine Väter, bei Bildungsangeboten sind keine Väter – das muss sich ändern, dafür brauchen wir mehr präventive Angebote und eine strukturelle Organisationsentwicklung auf Seiten der Arbeitgeber“, fordert Heiner. „Soziale Arbeit mit Männern ist oft nur reaktiv, wenn es zum Beispiel um Gewalt geht. Wir müssen mehr präventiv arbeiten“, ist er überzeugt.

Während Heiner als Vater unter lauter Müttern Zustimmung und Bestärkung erfährt, schwingt im Leben seiner Frau vielfach mit, sie sei eine „Rabenmutter“. „Die Klischees erlebt eigentlich meine Frau viel mehr“, sagt er, „sie hat die negativen Konsequenzen zu tragen und muss sich rechtfertigen. Ich werde eher gefeiert für meine aktive Vaterschaft.“ Beide gehen sehr offensiv mit Klischeezuschreibungen um. „Ich mag es unglaublich gerne, wenn ich mit Klischees spielen kann“, schmunzelt Heiner Fischer. „Ich hatte zum Beispiel mal ein roséfarbenes Handy. Da haben mich viele angesprochen, das sei doch für Frauen. Über sowas mache ich dann ironische Witze, um aufzuzeigen, wie unsinnig so ein Denken eigentlich ist.“
 

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