20.04.2023
Fachkräfte gewinnen und halten in Handwerk und Pflege
Vorbilder und Unterstützung statt Klischees
Eine gute Berufsorientierung ist wichtig, um Nachwuchs zu finden. Dazu gehören neben Informationsmaterialien und praktischen Einblicken in die Berufe auch Vorbilder. Wie die Rollladen- und Sonnenschutzmechatronikerin Sandra Mayer-Wörner und der angehende Gesundheits- und Krankenpfleger Kaldun Abdallah.
Nachwuchswerbung und Bindung von Mitarbeitenden sind wichtige Themen angesichts des grassierenden Fachkräftemangels auch im Handwerk und in der Pflege. Viele Betriebe und Unternehmen beschreiten neue Wege, um die Ausbildung für junge Menschen attraktiver zu machen. So gehen sie zum Beispiel aktiv auf Jugendliche zu, auf Messen oder in den Sozialen Medien. Und sie werben mit flexiblen Arbeitszeiten und einem guten Betriebsklima – Aspekte, auf die junge Menschen heute großen Wert legen.
Ob sich eine junge Frau oder ein junger Mann im Handwerk oder im Bereich der Gesundheitsberufe richtig aufgehoben fühlt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Neben den Arbeitsbedingungen muss natürlich die Qualität der Ausbildung stimmen. Wird das, was zur Ausübung des Berufs wichtig ist, gut vermittelt? Wird mir, wenn ich mich für einen Beruf entscheide, in dem überwiegend das andere Geschlecht vertreten ist, auf Augenhöhe begegnet? Werde ich akzeptiert, wie ich bin? Wesentlich ist auch die Motivation der Auszubildenden.
Doch bevor sich junge Menschen entscheiden, für welchen Betrieb oder welche Einrichtung sie arbeiten möchten, müssen sie erst einmal herausfinden, welcher Beruf es überhaupt werden soll. Abiturientinnen fragen sich zudem: Soll ich studieren oder vielleicht doch lieber eine Ausbildung machen? Was ist jeweils drin für mich? Lohnt sich eine Ausbildung? Und was kann ich überhaupt? Die Antworten auf diese Fragen stellen die Weichen für das zukünftige Leben.
Und auch wie sie zu der Entscheidung für ihren Beruf kommen, spielt eine Rolle: Welchen Einfluss haben Familie, Schule, Peergroup und Medien? Geschlechterklischees sind ein wesentlicher Faktor im Berufswahlprozess, weswegen sich die Berufswahlentscheidungen jungen Frauen immer noch sehr deutlich von denen junger Männer unterscheiden. Doch Talente haben kein Geschlecht. Dies zeigen auch die Berufswege, die Kaldun Abdallah und Sandra Mayer-Wörner eingeschlagen haben.
Vorbilder unterstützen
Kalduns Geschichte zeigt, dass der Weg zum passenden Beruf oft alles andere als geradlinig ist und eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst voraussetzt. Dazu gehört unter anderem auch die Reflektion von gängigen Geschlechterklischees, die einengen. Doch Kaldun hat seinen Beruf gefunden und ist sehr engagiert in seinem Job. „Wenn ich weiß, wer ich bin und was ich kann, dann kann ich jeden Beruf machen“, so Kaldun Abdallah. Hat er Vorbilder? Seine erste Station war die Geriatrie, der Umgang mit demenziell Erkrankten viel ihm zunächst schwer, doch er fand viel Rückhalt bei seiner Freundin. Heute sind die Fachkräfte dieser Station seine großen Vorbilder. Einer von wenigen Männern unter vielen Frauen zu sein, damit hat Kaldun kein Problem. Er engagiert sich für das Klinikum Vest als Botschafter und versucht, mehr junge Männer für die Pflege zu begeistern. Für viele ist er auch selbst schon jetzt ein Role Model.
Ausbildungsabbrüche verhindern und angehende Fachkräfte halten
In Zeiten des Fachkräftemangels, so das Fazit einer Studie der Universität Bremen zu Erfahrungen weiblicher Auszubildenden im Handwerk, sollten Aspekte wie Wohlfühlen am Arbeitsplatz und die Identifikation mit dem gewählten Berufsfeld nicht unterschätzt werden. Selbst subtile Herabsetzungen oder Ausgrenzungen zum Beispiel aufgrund des Geschlechts, wie sie Studienteilnehmerinnen während ihrer Ausbildung erfuhren, demonstrierten Macht und vertrieben Frauen aus männerdominierten Berufsfeldern, auch wenn sich die Frauen mit dem Berufsfeld identifizierten. Geschlechterklischees zu begegnen, ist also nicht nur wichtig, um Nachwuchs zu gewinnen, sondern auch um ihn zu behalten.
Möglichkeiten zur Entfaltung bieten – schon möglichst früh im Leben
Wie Kaldun identifiziert sich auch Sandra voll und ganz mit ihrem Beruf. Nach einem kurzen „Ausflug“ in die Ausbildung zur Speditionskauffrau wurde sie im elterlichen Handwerksbetrieb Rollladen- und Sonnenschutzmechatronikerin. Auch sie wird ab und an mit Geschlechterklischees konfrontiert. „Ich ignoriere sie aber, dagegen zu kämpfen ist verschwendete Energie. Meistens sind Kunden überrascht, wenn ich vor der Tür stehe. Ich bekomme aber nur positives Feedback. Meiner Meinung nach müsste es normal sein, dass auch Frauen meinen Beruf ausüben, ohne diesen besonderen Zuspruch. Wenn ein Mann kommt, wird er dafür ja auch nicht extra gelobt. Ich mache ja nur das, was mir gefällt und mich erfüllt. Und das genau sollte jeder Mensch tun, das zu arbeiten, was Spaß macht und erfüllt.“ Auch hier sind Vorbilder von Vorteil, in Sandras Fall in erster Linie ihre Eltern. Sie wie auch ihr direktes Umfeld haben sie bei der Berufswahl unterstützt. Schon in der Kindheit konnte sie sich über Klischees hinweg entfalten. Dies zeigt: es ist wichtig, Kindern von Anfang Möglichkeiten zu geben, sich zu entfalten und sich als selbstwirksam zu erleben, statt sie durch Klischees in ihrer Entwicklung zu begrenzen.
Quellen:
- Berufswege: Sandra Mayer-Wörner – Rolladen- und Sonnenschutzmechatronikerin
- Berufswege: Kaldun Adallah – Pflegefachkraft
- Klischeefrei-Faktenblatt Ausbildung
- Studie der Universität BremeN: Kroeger, T./Meng, F./Müntinga, R./Stephan, J. (2022): ‚Microaggressions’ als Herausforderung für geschlechter-untypische Auszubildende: Anwendungsmöglichkeiten des Erklärungsansatzes im Kontext von Bildungs(un)gerechtigkeit in Ausbildungsverläufen. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 42, 1-26.