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„Dass ich Malermeisterin, Diplom-Betriebswirtin, Kunstschaffende und Mutter bin, bringen viele nicht zusammen“

Melanie Temme, Maler- und Lackierermeisterin, Diplom-Betriebswirtin, Künstlerin

Melanie Temme ist Maler- und Lackiermeisterin – und noch vieles mehr. Sie will im Handwerk etwas bewegen und Dinge verändern. Auf vielen Ebenen setzt sie sich dafür ein, dass alle im Handwerk ihr berufliches Glück finden können, unabhängig vom Geschlecht oder von Klischees.

„Dass ich Malermeisterin, Diplom-Betriebswirtin, Kunstschaffende und Mutter bin, bringen viele nicht zusammen“

Das einzige Mädchen zu sein – in der Werkstatt, in der Berufsschule und später in der Meisterschule, für Melanie Temme gehörte das von Anfang an zum Berufsalltag. Melanie wuchs in den familiengeführten Malerfachbetrieb hinein, der 1919 gegründet wurde. „Ich habe schon vor dem Abitur im Betrieb mitgearbeitet“, beschreibt sie ihre beruflichen Anfänge. „Für mich war immer klar, dass ich diese Ausbildung machen werde.“ Mit Klischees wird Melanie in ihrem Leben auf vielen Ebenen konfrontiert. Denn dass sie Handwerkerin, Betriebswirtin, Führungskraft, Ehrenamtliche, Kunstschaffende und auch Mutter ist, „das bringen viele nicht zusammen“.

Heute ist Melanie als Personal- und Ausbildungsleiterin in einer Unternehmensgruppe von Handwerksbetrieben in Karlsruhe für alle 130 Mitarbeitenden der Firma verantwortlich. Ihr ehemaliger Betrieb, den die Familie 2021 verkauft hat, ist ebenfalls Teil dieser Gruppe.

Für Melanie war der Schritt von der selbstständigen Familienunternehmerin zur Angestellten zunächst ein Einschnitt, doch er eröffnete der engagierten Frau ganz neue Möglichkeiten.

Melanie Temme Büro
Melanie Temme, Personal- und Ausbildungsleitung

Begeisterung wecken – Nachwuchs gewinnen – Fachkräfte sichern

Melanie Temme trägt nicht nur die Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens, sie sorgt auch dafür, dass dem Betrieb der Nachwuchs nicht ausgeht. So geht sie beispielsweise mit „ihren“ Auszubildenden in Schulen, um für den Malerberuf zu werben, besonders bei Mädchen. Ihr Unternehmen engagiert sich beim Girls’Day und bietet darüber hinaus aktiv Praktikumsplätze für Schülerinnen und Schüler an – alles, um junge Menschen für eine Ausbildung in ihrem Betrieb zu gewinnen.

Neben Malerinnen bildet die Firma auch Stuckateure und Ausbaumanagerinnen aus, und es gibt die Möglichkeit eines dualen Studiums in Betriebswirtschaftslehre. Melanie unterstützt ihre Azubis und Studierenden über die Vermittlung von Fachwissen hinaus und vertritt ein modernes Verständnis von Führung: Sie setzt auf Kommunikation und will die jungen Menschen stärken und befähigen. Genauso wichtig sind ihr klare Strukturen. Von den Azubis erwartet sie Fleiß, Ordnung und Verlässlichkeit, im Team und den Kundinnen und Kunden gegenüber. Dabei geht sie mit gutem Beispiel voran. Man müsse sich selbst an die eigenen Regeln halten, um Vorbild zu sein, davon ist Melanie überzeugt. Und: „Das Begleiten ist enorm wichtig. Man muss investieren, aber dadurch bindet man auch die Jugendlichen an sich“, beschreibt sie ihre Erfahrungen.

Als Personalverantwortliche legt sie Wert auf ein gutes Betriebsklima. Auch die Männer im Unternehmen freuen sich schließlich über einen freundlichen Ton, einen offenen Umgang, eine positive Fehlerkultur oder über gemeinsame Aktionen. Die Investition zahlt sich aus: Das Unternehmen erhält zum Teil mehr Bewerbungen als es Ausbildungsplätze anbieten kann und die Fluktuation unter den Mitarbeitenden ist gering.

Neben ihrem Beruf engagiert sich Melanie seit 2011 ehrenamtlich im Vorstand der Maler- und Lackiererinnung Mittelbaden, seit 2021 ist sie stellvertretende Obermeisterin – als erste Frau in Baden-Württemberg. Darüber hinaus ist sie seit mehr als 18 Jahren im Gesellenprüfungsausschuss aktiv und seit 2017 dessen Vorsitzende. Neu hinzu kam 2024 die Tätigkeit als Dozentin in der Fortbildung bei der Handwerkskammer Karlsruhe – ebenfalls eine Form der Nachwuchsarbeit. Auch sonst tritt die Malermeisterin in die Öffentlichkeit, wo immer es darum geht, für das Handwerk und – ganz besonders für Frauen im Handwerk – die Flagge hochzuhalten.

Ohne Fleiß und Zielstrebigkeit geht es nicht

Dies klingt, als sei Melanies erfolgreicher Berufsweg eine Art Selbstläufer gewesen, doch ganz so war es nicht. „In meinen Zwanzigern habe ich den Grundstein für mein heutiges Leben gelegt. Ich war fast nie im Urlaub und habe sehr viel gearbeitet“, berichtet Melanie von dieser Zeit. „Nach der Ausbildung habe ich BWL studiert, dann kam mein erster Sohn, dann der Arbeitsalltag in der Geschäftsleitung mit verschiedenen Fortbildungen zum Beispiel im Restaurierungsbereich, dann der zweite Sohn und anschließend die Meisterprüfung“ erzählt sie weiter. „Während andere Party gemacht haben, habe ich die Meisterschule gemacht, war in der Geschäftsleitung tätig, habe einen Haushalt geführt und hatte zwei kleine Kinder.“

Mit dem Meistertitel in der Tasche verlegte Melanie sich beruflich auf ganz spezielle Aufträge wie Vergoldungen, die Wiederherstellung historischer Wanddekorationen und Ähnliches. So wirkte sie zum Beispiel bei der Restaurierung des Karlsruher Schlosses und vielen anderen Denkmälern in Karlsruhe und Umgebung mit.
Nebenher begann sie, sich in den Gremien der Handwerkerschaft zu engagieren. Wie hat sie das alles unter einen Hut bringen können? „Familie, Selbstorganisation und das private Netzwerk sind extrem wichtig“, weiß die engagierte Frau.

Wenn man als Frau beruflichen Erfolg anstrebt und Kinder hat, dann ist man eine Rabenmutter, dann ist man arrogant, dann ist man überehrgeizig. Über Männer würde man sagen, der ist willensstark und setzt sich für seine Familie ein. Es ist gar nicht in den Köpfen drin, dass eine Frau gern arbeitet.

Melanie Temme

Melanie Temme 2002
Noch viel vor: Melanie Temme zu Beginn ihrer Karriere

Wider die Klischees – mit dickem Fell und einer Portion Humor

Wie wenig Frauen im Maler- und Lackiererhandwerk zugetraut wurde, erlebte Melanie bei ihrer Gesellenprüfung vor über 20 Jahren. Sie schloss die Prüfung als Jahrgangsbeste ab und erhielt außerdem als erste Frau den Innovationspreis der Stadt Karlsruhe für ihre Leistungen. Bei der Lossprechungsfeier bekam sie als Auszeichnung eine Krawatte, eine Krawattennadel und einen Schinken. Man könne ja nicht ahnen, dass eine Frau diesen Erfolg erzielen würde …

Überhaupt kann Melanie über ihre Erfahrungen als Frau im Handwerk und in einer Führungsposition viel erzählen über die Klischees und Vorurteile, mit denen sie konfrontiert wurde „Seit der 10. Klasse arbeite ich in der Firma mit. Dadurch erlebe ich diese Welt schon seit ich 16 bin. Ich nehme heute vieles nicht mehr so ernst.“ Am Anfang war das noch anders.

Zu Beginn ihrer Karriere musste sich auch Melanie Temme als Frau in ihrem Beruf erst einmal beweisen. „Ich habe so gut wie nie eine Frau auf dem Bau gesehen, das war damals noch total unüblich“ beschreibt sie die ersten Jahre. Selbst als berufserfahrene Handwerkerin mit Ende 20 wurde sie manchmal gefragt, ob sie denn heute mal richtig mitarbeiten dürfe, wurde als „süßes Lehrlingsmädchen“ oder auch als „die Putzfrau der Arbeitsgruppe“ angesprochen, erzählt Melanie kopfschüttelnd. Sexistische Erfahrungen machte sie jedoch weniger mit ihren eigenen Kollegen, sondern eher mit Mitarbeitern anderer Firmen, mit Architekten, Kundinnen und Kunden oder auch einfach mit Passanten.

Auf Klischees reagiert die Malermeisterin mittlerweile souverän und mit einer Portion Humor. Man müsse die Menschen da abholen, wo sie stehen, ist ihre Erfahrung. „Philosophische Diskussionen bringen dann nichts.“ Fragen wie „Was sagt denn dein Mann dazu, dass du jetzt hier bist?“ spiegelt sie gerne zurück und fragt, „Was sagt denn deine Frau dazu, dass DU jetzt hier bist?“ Das öffne viel mehr die Augen, als sich aufzuregen oder gar zu streiten.

Stereotype auf allen Ebenen

Als besonders schwierig empfindet es die vielseitige Frau, dass Menschen immer wieder versuchen, sie in ein vermeintlich allgemeingültiges Bild zu pressen. Mit ihren Rollen als Malermeisterin, Diplom-Betriebswirtin, Führungskraft, Kunstschaffende, Gremienarbeiterin und Mutter verbinden viele Menschen jeweils unterschiedliche Vorstellungen, die sich zum Teil gegenseitig ausschließen:

Eine Frau im Handwerk, kann die das überhaupt? Eine Malermeisterin in eleganter Erscheinung? Die sehen doch nicht so aus. Kann eine Handwerkerin auch einen Uni-Abschluss haben? Warum braucht sie den? Wie kann eine Frau Mutter und gleichzeitig Führungskraft sein? Sollte eine Mutter ihren Abend nicht besser bei den Kindern als im Gremium oder auf Kunstmessen verbringen? Wie kann sie „frei“ Kunst erschaffen bei diesem durchorganisierten Alltag, verheiratet, mit drei Kindern?

Melanie kritisiert, dass Männer und Frauen im Beruf so unterschiedlich bewertet werden: „Wenn man als Frau beruflichen Erfolg anstrebt und Kinder hat, dann ist man eine Rabenmutter, dann ist man arrogant, dann ist man überehrgeizig. Über Männer würde man sagen, der ist willensstark und setzt sich für seine Familie ein. Es ist gar nicht in den Köpfen drin, dass eine Frau gern arbeitet.“ Melanie ist daher dankbar, dass sie und ihr Mann eine so gleichberechtigte Beziehung leben. Er arbeitet bei einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Beide unterstützen und ergänzen sich gegenseitig bei ihren Zielen und Vorhaben im Beruf wie im Privatleben.

Die Betriebswirtin betont auch, wie wichtig es für ihre Karriere ist, dass sie selbst das Maler- und Lackiererhandwerk erlernt hat. Hätte sie nur BWL studiert, ist sie sich sicher, hätte sie nicht die Glaubwürdigkeit, die „street credibility“, die sie dank ihrer Ausbildung und Berufserfahrung hat. „Frauen müssen doppelt so gut sein, um die halbe Anerkennung von Männern zu bekommen.

Melanie Temme Atelier
Farbe und künstlerischer Ausdruck: Melanie Temme in ihrem Atelier

Warum Malerin und Lackiererin werden?

Warum sollten junge Frauen sich trotzdem für eine Ausbildung zur Malerin und Lackiererin entscheiden? An ihrem Handwerk gefällt Melanie besonders gut, dass es ein kreativer Beruf voller Abwechslung ist. Sie freut sich, wenn die Kundinnen und Kunden zufrieden sind – und das seien sie fast immer. „Wir machen die Leute glücklich, weil etwas gut aussieht oder wieder richtig funktioniert. Man geht abends nach Hause und sieht, was man geleistet hat. Es ist egal, ob ich eine Frau oder ein Mann bin. Man kommt herum, erhält oft einen Blick hinter die Kulissen.“ Wenn Melanie in Schulen mit Mädchen spricht, hebt sie die Vorteile einer handwerklichen Ausbildung hervor: Handwerkerinnen seien im Leben und auch im eigenen Haushalt selbstständiger, man könne selbst etwas reparieren und sei unabhängiger. „Es macht einem niemand etwas vor“, ist Melanies selbstbewusste Haltung dazu. Sie bringt ihren kreativen Beruf außerdem in eine Verbindung mit aktuellen Trends wie Farbberatung oder das auf Social Media beliebte Home Staging, bei dem es um die professionelle Einrichtung von Räumen geht: ein Beruf am Puls der Zeit.

Als Führungskraft arbeitet Melanie kaum noch handwerklich, sondern mehr im Büro. „Auch viele Männer hören ab einem bestimmten Alter auf, die härteren Arbeiten zu machen“, erklärt sie. Noch so ein Klischee: „Bei Männern gilt es als normal, wenn sich einer die leichteren Arbeiten raussucht. Bei uns Frauen kommt dann: ach, das kann sie dann doch nicht mehr.“

Heute übernimmt Melanie noch spezielle Restaurierungsaufträge oder besondere, kleinteilige Reparaturen.

Kreativ und voller Farbe ist ihr Leben aber weiterhin, denn neben ihrem Beruf hat Melanie seit ihrer Schulzeit eine künstlerische Leidenschaft: Sie erschafft großflächige Kunstwerke in hochwertigen Materialien. Dafür hat sie eigene Techniken entwickelt, basierend auf den Kreativtechniken ihres Handwerks. Mittlerweile ist die Malermeisterin auch als Künstlerin gefragt, stellt öffentlich aus und präsentierte sich zuletzt auf der Art Fair Paris, einer internationalen Kunstmesse: „Ich führe mein Handwerk darin fort. Nächstes Jahr werde ich unter anderem wieder in Frankreich und in Luxemburg ausstellen.“ Der Kunstbetrieb gilt nicht unbedingt als Ort der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Aber das hält Melanie, nicht davon ab, sich auch dort einzubringen – im Gegenteil.

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