Welche Rolle spielen Ausbilderinnen aus Ihrer Sicht für die Gewinnung von jungen Frauen? Brauchen wir in handwerklich-technischen Berufen mehr Ausbilderinnen?
Marjoke Breuning: Die Vorbildfunktion kann in vielen Fällen ein Kriterium für junge Frauen sein, einen gewerblichen-technischen Beruf in Erwägung zu ziehen. Entscheidend ist, dass Frauen in technischen Berufen sichtbar sind. Bei dem Thema besteht jedoch ein klassisches Henne-Ei-Problem. Denn Ausbilderinnen werden aus Fachkräften gewonnen und Fachkräfte wiederum aus Auszubildenden. Und dazu brauchen wir einen größeren Anteil an weiblichen Azubis.
Holger Schwannecke: Das sehe ich genauso. Mehr Ausbilderinnen zu gewinnen setzt voraus, mehr junge Frauen auszubilden und diese im Betrieb zu halten und gleichzeitig deren Potentiale als Ausbilderinnen zu nutzen. Ausbilderinnen haben immer Vorbildfunktion, insofern brauchen wir mehr Ausbilderinnen. Je mehr wir von diesen in gewerblich-technischen Berufen und in MINT-Berufen haben, umso besser kann es uns gelingen, junge Frauen für diese Tätigkeitsfelder zu begeistern.
Was raten Sie Betrieben, die gezielt Frauen als Ausbilderin oder Meisterin gewinnen wollen?
Marjoke Breuning: Auszubildende und Mitarbeiterinnen fördern, um damit die Ausgangslage zur Qualifizierung von Ausbilderinnen zu schaffen. Betriebe können Teilzeitmodelle oder Möglichkeiten zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie anbieten. Dadurch kann eine solche Stelle oder Aufgabe für Frauen attraktiver werden. Zudem sollten die Unternehmen gezielt überlegen, was Frauen an der Funktion der Ausbilderin anspricht und gezielt darauf eingehen, zum Beispiel die Sinnhaftigkeit und Verantwortung.
Holger Schwannecke: Das ist zunächst eine personalstrategische Überlegung. Ein erster Schritt ist die Ausbildung junger Frauen. Schon das kann eine Herausforderung für einen männertypischen Betrieb sein. Hier heißt es, das ganze Team „mitzunehmen“, die Stellenbeschreibung so zu formulieren, dass sich auch Frauen willkommen und angesprochen fühlen: etwa durch Bildmotive, die einen Eindruck vom Arbeitsalltag mit seinen technischen, kreativen und sozialverantwortlichen Aspekten geben, durch die Darstellung des Gewerkes im Zusammenhang mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekten oder durch die Beschreibung der Tätigkeiten durch Auszubildende.
Ausbilderinnen in technischen Bereichen einzusetzen, sollte strategisch angegangen werden. Zusammen mit den künftigen Ausbilderinnen sollten die Erwartungen und Rahmenbedingungen abgesteckt werden. Wie das geht, zeigt die Handlungsempfehlung zur Rekrutierung von Frauen des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA), ein Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.
Vor allem in kleinen Unternehmen kann der Ausbildung aus Kapazitätsgründen manchmal nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt werden. Aber auch in größeren Unternehmen hängt vieles in der Ausbildung vom Engagement der Ausbildenden ab. Wird die Tätigkeit des Ausbildens zu wenig wertgeschätzt in Unternehmen?
Holger Schwannecke: Das Handwerk bildet überdurchschnittlich aus, was sich in der Ausbildungsquote von fast 8 Prozent im Vergleich zur Gesamtwirtschaft von 4,8 Prozent niederschlägt. Das geht nicht ohne qualifiziertes Ausbildungspersonal. Daher hat sich das Handwerk für den Teil IV – Ausbildereignungsprüfung – in der Meisterprüfung stark gemacht. Damit findet eine Wertschätzung der Ausbildenden statt.
Marjoke Breuning: In nur wenigen Fällen ist die Ausbildertätigkeit im Unternehmen eine hauptberufliche. Die Betreuung eines Azubis muss fast immer zusätzlich zu den primären Aufgaben bewältigt werden. Wenn dafür nicht ausreichend Freiräume geschaffen werden, kann dies – gerade in Krisenzeiten wie jetzt – schnell zu einer Doppelbelastung oder Überlastung führen. Wir beraten neue Auszubildende und ihre Ausbilder und Ausbilderinnen dahingehend, die Ausbildung vor Antritt des Azubis gut zu planen. Die Kolleginnen und Kollegen in den Fachabteilungen müssen frühzeitig informiert und eingebunden werden. So können Leerläufe während der Ausbildung vermieden werden und der Azubi ist rundum betreut. Das ist insbesondere in Zeiten von Corona besonders wichtig, weil durch Home-Office in vielen Berufen der tägliche Austausch nicht im gewohnten Maß möglich ist. Die Betriebe sollten ihr Augenmerk auf den möglichen Nutzen einer Ausbildung legen, anstatt nur den Aufwand zu sehen. Wenn erst ausgebildet wird, wenn der Arbeitsmarkt keine entsprechenden Arbeitskräfte mehr hergibt, kann es zu spät sein. Bei regelmäßiger Ausbildung und spürbaren Ausbildungserfolgen ist auch die Wertschätzung hoch.
Frau Breuning, Frauen sind in kaufmännischen Berufen sehr stark vertreten. Die Kauffrau für Büromanagement gehört zu den beliebtesten Ausbildungsberufen junger Frauen. In den technischen Berufen dagegen dominieren Männer. Was tun die IHKs, um mehr Frauen für MINT-Berufe zu begeistern?
Marjoke Breuning: Die IHKs bringen sich stark in die Berufsorientierung ein. Die zwölf baden-württembergischen IHKs beispielsweise haben insgesamt 15 Programme in diesem Bereich. Unter anderem engagieren sie sich beim bundesweiten Girls‘Day, ein Aktionstag, der Mädchen und Frauen motivieren soll, technische und naturwissenschaftliche Berufe zu ergreifen, indem Unternehmen Einblicke in diese Berufe geben. Über die Ausbildungsbotschafterinnen – ein sehr erfolgreiches Projekt, das in Baden-Württemberg ursprünglich entstanden ist – haben wir ja bereits gesprochen. Im letzten Jahr gab es zudem eine Neuordnung in den IT-Berufen mit zwei neuen kaufmännischen IT-Berufen: die Kaufleute für Digitalisierungsmanagement und Kaufleute für IT-Systemmanagement. Wir erhoffen uns davon auch einen Anstieg der Frauen in den IT-Berufen. Grundsätzlich zielt aber jedes Berufsorientierungsangebot der IHKs darauf ab, dass jede und jeder den Beruf findet, der zu ihren und seinen Stärken und Interessen passt! Denn die Ausbildung soll ja Spaß machen.
Herr Schwannecke, nur vergleichsweise wenige Frauen absolvieren die Meisterinnenprüfung. Was tut der ZDH, um mehr Frauen für die Meisterinnenlaufbahn zu begeistern?
Holger Schwannecke: Insgesamt beträgt der Anteil der Frauen, die eine Meisterprüfung ablegen, in allen Gewerken 17,9 Prozent. Das entspricht in etwa dem Frauenanteil in der Gesellenprüfung. Wir arbeiten daran, dass sich der Frauenanteil sowohl bei Ausbildungen wie Meisterprüfungen erhöht.
Das Interview führte Margit von Kuhlmann.