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Margit von Kuhlmann

„Ich versuche herauszufinden, was die Person braucht, um das Beste aus sich herauszuholen“

Eigentlich wollte Janine Vollborn nach dem Abitur „was mit Kunst“ machen. Maskenbildnerin am Theater – das stellte sie sich kreativ und spannend vor. Dass sie heute als ausgebildete Technische Systemplanerin und studierte Elektroingenieurin bei Stadler Rail arbeitet, einem international tätigen Hersteller von Schienenfahrzeugen, hätte sie damals selbst nicht geglaubt.

„Ich versuche herauszufinden, was die Person braucht, um das Beste aus sich herauszuholen“

Der Karrierestart hinter den Theaterkulissen gestaltete sich schwierig. Die Berlinerin absolvierte deshalb zunächst ein mehrmonatiges Praktikum in einem Friseursalon, um Erfahrung zu sammeln und sich später weiter zu bewerben.

Doch ihr kamen Zweifel an ihrem ersten Berufswunsch. Sie nutzte die Zeit für eine intensive Selbstprüfung. Will ich wirklich einen Beruf, in dem ich nur für eine Spielzeit angestellt bin und mich regelmäßig neu bewerben muss? Wie wichtig ist mir ein solides Einkommen? Wie wünsche ich mir meine Arbeitszeit? Janine Vollborn unternahm eine ehrliche Selbstanalyse: Neben der Kunst hatte sie in der Schule schon immer Spaß am logischen Denken und am Lösen von Problemen. Und da war auch der Mathe-Leistungskurs. Außerdem schien ihr Sicherheit doch wichtiger zu sein als zunächst gedacht.

So wurde ihr Blick frei für einen technischen Beruf. 2011 begann sie ihre Ausbildung bei Stadler, absolvierte im Anschluss über ihren Arbeitgeber ein duales Studium der Elektrotechnik und ist seit 2017 als Ingenieurin im Bereich „Engineering“ angestellt. Dort plant sie nun die Elektrik von Triebzügen der Berliner U-Bahn oder von Reisezugwagen aus Kanada, erstellt Konzepte und Vorgaben, damit ihre Kollegen den Stromlaufplan zeichnen können und hält Rücksprache mit der Produktion.

Seit April 2019 verantwortet sie zudem die Ausbildung der Azubis und der dualen Studierenden im Engineering. Dass sie das einmal tun würde, war ihrem Ausbilder schon früh klar – ihr selbst nicht. „Er hat etwas in mir gesehen, dass ich selbst damals noch nicht gesehen habe“, beschreibt die heute 30-Jährige diese Entwicklung. Sie selbst wollte nach Ausbildung und Studium erst einmal Berufserfahrung sammeln, Projekte übernehmen, alle Abläufe kennenlernen. Ob sie dann eine Fachkarriere oder eine einen Aufstieg im Management einschlagen würde, wusste sie zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ihr Chef und ehemaliger Ausbilder förderte sie und band sie von Anfang an in seine Tätigkeiten als Ausbilder ein. Als er 2019 andere Aufgaben im Unternehmen übernahm, konnte sich Janine Vollborn auch selbst als Ausbilderin vorstellen. „Ausbilden ist eine gute Möglichkeit, in Führungsaufgaben hineinzuwachsen“, ist sie überzeugt.

Neben dem Chef hat sie besonders eine Ausbilderin geprägt, Margitta Giese. Janine Vollborn hat sie im ersten Lehrjahr im ABB-Ausbildungszentrum kennengelernt. „Diese Frau war eine Macherin“, beschreibt sie Frau Gieses Persönlichkeit, „sie hat mir etwas zugetraut, und das hat mich angespornt.“ Hinzu kam, dass ihr damaliger Freund deutscher Meister im Tischlerhandwerk war, da wollte sie nicht zurückstecken.

Überhaupt ist Janine Vollborn eine Frau mit einem hohen Anspruch an sich und andere. Leistung ist ihr wichtig. So legte sie die bundesweit beste Abschlussprüfung ihres Jahrgangs in ihrem Ausbildungsberuf ab. Mit dieser Einstellung ist sie bei ihrem Arbeitgeber gut aufgehoben. „Bei uns zählt die Leistung und das Zwischenmenschliche. Das Geschlecht ist egal“, beschreibt sie das Betriebsklima. Natürlich gebe es mehr Männer als Frauen, in der Produktion und im Maschinenbau, aber vor allem in der Elektrotechnik. Unterschiede sieht sie unter anderem in der Kommunikation. „Männer sagen eher geradeheraus, was sie denken“, findet Janine Vollborn. Frauen seien nicht ganz so direkt. Geschlechterrollen spielten im Arbeitsalltag jedoch keine Rolle.

In ihrer Rolle als Ausbilderin sucht sie nicht gezielt nach weiblichen Azubis oder Studierenden, freut sich aber über jede gute Bewerberin und schaut sich deren Unterlagen gründlich an. Janine Vollborn engagiert sich außerdem im Programm „girlsatec.de – Junge Frauen erobern technische Berufe“ des ABB Ausbildungszentrums Berlin, das im Verbund mit mehreren Unternehmen auch Stadler-Azubis ausbildet und Partnerorganisation der Initiative Klischeefrei ist. Initiatorin von „girlsatec.de“ ist ihre ehemalige Ausbilderin Margitta Giese.

Jungen Frauen rät sie, sich vor der Berufswahl auszuprobieren: „Stellt viele Fragen, macht ein Praktikum, probiert euch aus. Es gibt zum Beispiel das Technik-Camp von girlsatec.de, da mitzumachen hilft bei der Selbsteinschätzung.“ Ausprobieren, das ist auch ihr Tipp für Frauen, die selbst ausbilden wollen: „Schaut den Fachbetreuern und Ausbildern über die Schulter, und vor allem, prüft, ob der pädagogische Anteil euch liegt, denn der ist wichtig!“

Als Ausbilderin geht Janine Vollborn etwas andere Wege als ihr eigener Ausbilder. Die Hierarchie spiele keine so große Rolle, sagt sie. Das sei ein Unterschied. „Ich versuche, auf die Azubis und Studierenden einzugehen und herauszufinden, was die Person braucht, um das Beste aus sich herauszuholen.“ Ein zurückhaltender Mensch müsse zum Beispiel anders angesprochen werden als ein extrovertierter. Als Ausbilderin im Engineering-Bereich hat sie zudem einen großen pädagogischen Spielraum, was die Ingenieurin zu schätzen weiß. Es gebe dort keine festen Ausbildungspläne wie in der Produktion, alles sei viel individueller, erläutert Janine Vollborn: „Die Azubis und Studierenden sollen sich entwickeln können, das ist für mich das Wesentliche.“

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