05.12.2022 | Margit von Kuhlmann
Mehr Frauen in die IT! Aber wie?
Die digitale Welt ist nicht so geschlechtergerecht, wie viele sie erhofft haben. Der Digitalwirtschaft fehlt vielfach die Perspektive der Frauen. Über Stereotype in Algorithmen, MINT-Förderung und Weiterbildung als Schlüssel zu digitalen Kompetenzen.
Der digitale Wandel schreitet viel schneller voran als frühere tiefgreifende Veränderungen. Er wirkt mit großer Kraft in alle Lebensbereiche, privat wie beruflich. Die Corona-Pandemie hat die digitale Entwicklung weltweit zusätzlich beschleunigt, durch Homeoffice und Home Schooling, aber auch durch die Verlagerung von bisher analogen Dienstleistungen in den virtuellen Raum. Ein Beispiel dafür ist die digitale Vereinbarung von Impfterminen.
Stereotype leben in der digitalen Welt weiter
Die Herausforderungen der Zukunft gehen weit über den Umgang mit digitalen Anwendungen wie Office-Software oder eben mit einem Termine-Portal hinaus. Komplexe Anwendungen und selbstlernende Software unterliegen der Gefahr, gesellschaftliche Stereotype zu reproduzieren. Sie verbessern nicht per se die bestehende Situation.
Bereits in den 1990er Jahren formulierte die französische Soziologin Madeleine Akrich ihren Ansatz der „i-methodology“. Demnach sehen sich IT-Entwickler (in der Regel sind sie männlich) selbst als Maßstab für diejenigen, die künftig ihre Produkte nutzen. Sie neigen dazu, die Vielfalt der tatsächlichen Nutzerinnen und Nutzer bei der Entwicklung ihrer Produkte oder ihrer Software auszublenden. Dies geschieht weitgehend unbewusst.
Lajla Fetic, Expertin für Künstliche Intelligenz und Co-Leiterin des Projekts „Ethik der Algorithmen“ bei der Bertelsmann Stiftung, spricht sich deshalb in einem Podcast dafür aus, dass die Nutzerinnen und Nutzer digitaler Anwendungen digital kompetent sein müssen, um Tools kritisch zu reflektieren.1 Entwicklerinnen und Entwickler bräuchten ihrerseits ein Gefühl dafür, für welche gesellschaftliche Gruppe(n) sie entwickeln und welche gesellschaftlichen Vorstellungen mit diesen Gruppen verbunden sind, um in der Entwicklung nicht in die Klischeefalle zu tappen.
Umgekehrt benötigten die Auftraggeber und Entscheidungsträgerinnen ein Gefühl dafür, was technische Grenzen und Möglichkeiten sind, um „Technosolutionism“, also den Glauben, Technologien allein könnten gesellschaftliche Probleme lösen, zu vermeiden. Eine zentrale Kompetenz sei es deshalb, zu verstehen, dass Technologie nur ein Werkzeug ist. Die gesellschaftlichen Strukturen und Probleme beheben digitale Anwendungen nicht.2
Selbstlernende Software läuft Gefahr, Frauen (und andere Gruppen) systematisch auszuschließen, wenn sie bei Entwicklung und Training nicht explizit mit ihren Bedarfen eingeplant werden. „Je mehr das Bewusstsein für solche Fehler wächst, umso mehr wird diskutiert, was man dagegen tun kann“, sagt die Philosophin und Wissenschaftsjournalistin Dr. Monika Lenzen. Mittlerweile gibt es auf mehreren Ebenen Bestrebungen, Richtlinien für diskriminierungsfreie Künstliche Intelligenz (KI) zu entwickeln.3
Eine wesentliche digitale Kompetenz ist in diesem Zusammenhang, die Funktionalität von Software und Technologien zu verstehen und kritisch hinterfragen zu können. Ein unkritisches Vertrauen in solche Anwendungen trägt zur Festigung bestehender Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern bei.
Für mehr Ausgewogenheit in der Produkt- und Softwarenentwicklung wäre es wichtig, mehr Frauen (und darüber hinaus Vertreterinnen und Vertreter möglichst vieler weiterer gesellschaftlicher Gruppen) in den Teams zu haben. Doch Frauen entscheiden sich nach wie vor für andere Fachrichtungen als die IT. Im Jahr 2021 waren nur knappe 10 Prozent der neuen Auszubildenden zum Fachinformatiker/zur Fachinformatikerin weiblich. Dies entsprach einen Zuwachs um 13 Prozent zum Vorjahr, allerdings von einem sehr niedrigen Niveau aus. Die Anzahl der männlichen Auszubildenden nahm nur um 4,5 Prozent zu.4 Der Anteil der Frauen im ersten Fachsemester im Fach Informatik stagniert seit 2015 bei etwa 25 Prozent.5 Auf dem Arbeitsmarkt dagegen fehlten zum Jahresbeginn 2022 rund 96.000 IT-Fachkräfte.6